Shooting Stars (German Edition)
können, wenn sie auch nur einen plausiblen Grund finden können, der sie auf die Idee bringen wird, dass ich es gewesen sein werde, hätten sie Recht gehabt. Dann war es damals schon vernünftiger, mich an einen Schreibtisch setzen zu wollen.
So aber, weil sie glauben, dass ich gar nicht da bin, werden sie die Zusammenhänge nicht sehen. Weil ich sie denken gemacht habe, dass ich in Florida bin, in der Villa meines Vaters, in der Villa, die mein Vater von seinem vielen geerbten Geld gekauft hat. Von dem vielen schon von seinem Vater und Großvater geerbten Geld. Sie glauben, dass ich in dieser blassgelben Villa sitze, auf der durch eine hässlich wuchtige Balustrade eingerahmten Terrasse. Dass ich gerade mit Innenarchitekten spreche oder mit einem Baumeister, der diese hässliche Balustrade gegen etwas Filigraneres ersetzen soll.
Sie haben sich ein Bild von meinem glücklichen Leben in den Kopf gesetzt. Und auch wenn dieses Bild nichts mit der Realität zu tun hat, weil ich nicht, wie sie sich das vorstellen, mit einer oder zwei attraktiven Frauen vor dem sauberen Pool sitze, im Schatten einer gepflegten Palme oder im Schatten eines Sonnenschirms, mit einem kalten Gin Tonic neben mir, in dem die Eiswürfel knacken. In ein belangloses Gespräch mit meinen Begleiterinnen vertieft, die mein vieles Geld anlockt, wie der Schweiß die Moskitos in Afghanistan angelockt hat.
So stellen sie sich das vor. So sehen sie mein Glück vor sich. Und weil sie gar nicht anders denken können als daran, dass sie dieses Glück nicht verlassen würden. Wenn sie es hätten, mein Glück. Oder wenn schon nicht mein Glück, dann zumindest mein Geld. Sie können sich nicht vorstellen, dass ich dieses mir zugefallene, komfortable und großzügige Zuhause verlassen könnte. Sie wissen keinen Grund, der mich aus meiner überteuerten Küche oder aus dem ein wenig in die Jahre gekommenen Wellnessbereich, der mich aus diesem an der Oberfläche perfekten Leben, in dem einem weder Frost noch Regen zusetzen, der mich aus diesem kleinen privaten Eldorado hierher nach Deutschland bringen könnte. In ihren Augen macht es nicht den geringsten Sinn für mich, illegal einzureisen, um ihn zu erschießen. Das alles kann und wird für sie nicht in Frage kommen. Sie werden gar nicht anders können, als mich nicht zu verdächtigen. Denke ich. Und im Grunde weiß ich das mehr, als dass ich es bloß denke.
9
Sie kreischen. Während ich aufstehe, um mich langsam und unauffällig davonzumachen, mein Gewehr zerlege, das Zielfernrohr, das Magazin und den noch warmen Lauf in meinen Rucksack stecke, höre ich sie schreien. Und ich höre, wie ihr hysterischer Jubel in Panik umschlägt.
Nachdem die Wirklichkeit in ihren Köpfen angekommen ist, weil sie begriffen haben, was gerade vor sich geht, jetzt, weil sie verstehen, dass sie in einem großen Moment bei ihrem Star sind, in seinem letzten großen Moment. In dem Augenblick, in dem sie realisieren, was vor sich geht, verstehen sie plötzlich, dass es auch für sie gefährlich sein könnte. Und weil sie das verstehen, wird ihr Fanjubel zu einem Angstgeheul. Zu diesem hysterischen Lärm, der sie immer schneller auseinandertreibt. Der ihnen, während sie auseinanderlaufen, noch mehr Angst einjagt. Dieser Lärm und die Panik, mit der sie sich selbst terrorisieren und gegen deren selbsterzeugte Gewalt sie mit noch lauterem Geschrei anzukommen versuchen, mit noch mehr Lärm und noch mehr Panik, die sie doch nur immer kopfloser flüchten lassen.
Ein paar Sekunden lang sehe ich ihnen zu. Sehe mir an, wie sie laufen. Wie sich diese vielen Menschen da unten in Sicherheit bringen. Sie flüchten vor einer Gefahr, die gar nicht mehr da ist. Und laufen dabei in eine andere Gefahr hinein. Weil sie kopflos flüchten, weil die Panik vollends um sich greift, laufen sie in die eigentliche Gefahr erst hinein, denke ich. Nehme meinen Rucksack, schultere ihn und mache mich auf den Weg.
ZWEI
1
Ich mute mir ein Urteil zu. Aber ich kann nicht entscheiden, ob dieses Urteil auf sie zutrifft. Ich weiß nicht, ob die Menschen glücklich sind. Vielleicht gefällt ihnen ihr Leben ja. Aber mir gefällt es nicht. Also glaube ich daran, dass es richtig ist, hier, auf dem Dach dieses Hauses, zu warten. Der kühle Lauf des Gewehres in meiner linken Handfläche, der Kolben an meiner rechten Schulter und mein Auge am Zielfernrohr fühlen sich richtig an. Mein Zeigefinger, der neben dem Abzug liegend auch heute wieder auf den richtigen Moment
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