Shooting Stars (German Edition)
wartet. Der Atemrhythmus, in dem ich schießen werde. Die paar Sekunden, in denen ich meinen Atem anhalten werde, um den Schuss präzise zu setzen, um ihr präzise in die Leber zu schießen oder in den Hals. Vielleicht werde ich Heidi in den Hals oder ins Gesicht schießen. Aber ich weiß, dass es Sinn macht. Dass es auf meine Art vernünftig ist, ihr in die Leber zu schießen. Durch die Leber, weil ein Schuss in oder durch die Leber, wenn man sie mittig trifft, in den allermeisten Fällen tödlich ist. Und weil er mitunter sogar langsam tötet. Weil sie noch genug Zeit haben könnte, um ausgiebig zu leiden.
Aus einem Schuss in den Hals schießt das Blut schnell und ekelhaft heraus. So eine Blutung kann keiner stillen. Wenn man schön trifft. Und genau das ist das Problem bei einem Schuss in den Hals. Das Projektil kann ihn vollständig durchschlagen, und wenn man Pech hat, wenn ich Pech habe, treffe ich dabei keine einzige lebenswichtige Ader, keine für die Vitalfunktionen essentielle Nervenbahn. Auch nicht die Wirbelsäule. Aber dafür jemanden, der hinter dem Ziel steht.
Also werde ich ihr nicht in ihren schönen, schlanken Hals schießen. Auch weil das Gewehr, das ich in der Hand halte, ein ganz normales Gewehr ist. Keine billige, aber doch eine normale Waffe. Und die Munition, die ich verwende, ist eine banale Hartkern. Aus einer beliebigen Lieferung gepflückt. Keine der für Scharfschützen gedachten ersten Hundert oder Tausend produzierten Schüsse einer Charge. Im Grunde ist diese Munition nichts anderes als Ausschussmaterial. Zur Benutzung für Infanteristen gedacht, bei denen es nicht auf Präzision ankommt. Weil sie hunderte Schuss abfeuern, um die Gegner in Deckung zu halten, um sie festzunageln, und um genau diese Gegner dann mit größeren Kalibern, mit gepanzerten Wagen, schweren Maschinengewehren und in besonderen Fällen mit lasergesteuerten Waffen bekämpfen zu können. Dort, wo man sie durch überlegene Feuerkraft festgepinnt hat, bekämpft man sie in einem zweiten Schritt mit dem großen Hammer. Man gibt alles, was man hat. Scheißt sie mit Kugeln zu. Und dann macht man den großen Deckel drauf.
Leichte Panzerungen und Blech kann meine Munition vermutlich durchschlagen. Normale Schutzwesten zum Beispiel. Und das war mir heute wichtiger. Denn es heißt, dass ich mich auch verteidigen könnte. Ich habe die Mittel, sie eine Zeit lang aufzuhalten. Weil ihnen mein erster Schuss durch eine Weste klarmachen würde, dass sie es mit einem ernst zu nehmenden Gegner zu tun haben. Dass sie sich gut überlegen sollten, wie und wie schnell sie vorgehen. Aber dann, denke ich, Munition und Präzision hin oder her. Wenn sie wirklich kommen, werden sie mich kriegen. Aber sie werden nicht kommen.
Und sie werden mich nicht kriegen.
In menschlichem Gewebe, überhaupt bei Weichzielen, immer wenn es darauf ankommt, die volle Energie eines Schusses in einem Körper zu entfalten und nicht nur einen sauberen Schusskanal zu setzen, muss man mit dieser Munition einiges bedenken. Ich muss mir überlegen, wohin ich schieße. Werde ein lebenswichtiges Organ wie das Herz, die Leber oder wichtige Blutgefäße treffen müssen, um eine finale Wirkung zu erzielen.
Und ich habe ein Problem, denke ich. Obwohl die Munition, gerade weil sie eine Hartkern ist, gute Flugeigenschaften besitzt, wird sie aus meinem Gewehr geschossen nicht sehr präzise sein. Der Schalldämpfer, den ich mir aus Finnland habe kommen lassen, macht die Sache auch nicht einfacher. Vor Monaten schon habe ich ihn mir besorgt. Und es war nicht einfach, ihn über Wege zu beziehen, die sie nicht nachvollziehen können werden. Von denen ich zumindest glaube, dass sie sie nicht kennen. Aber trotzdem ist dieser Schalldämpfer heute meine Achillesferse. Er macht mich zwar weniger angreifbar, weil er den Knall dämpfen wird. Und das Mündungsfeuer. Man wird nicht sofort sehen können, woher mein Schuss gekommen ist. Aber dennoch ist der Silencer meine Schwachstelle, weil ich nicht sicher bin, ob sie den illegalen Handel mit Schalldämpfern nicht doch überwachen, und wenn ja, wie genau sie das tun.
Aber nicht nur das, auch die geringe Präzision macht mir Gedanken. Vielleicht erkaufe ich mir meinen Vorteil mit zu viel Ungenauigkeit. Und mit zu viel Angreifbarkeit.
Es wird sich weisen. Wenn ich geschossen haben werde, wird sich zeigen, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Damit, dass ich mich nicht doch für ein richtiges Gewehr entschieden habe. Für
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