Showdown
waren plötzlich nicht nur Parkplätze knapp, sondern auch Windeln. Das Einkaufszentrum Lago berichtet, dass die 700 Parkplätze längst nicht mehr ausreichen, man habe Extra-Parkflächen eröffnet. An den leeren Regalen hängen Schilder mit der Aufschrift: »Liebe Kunden, leider haben wir heute keine Pampers mehr für Sie auf Lager«. Autohäuser stellen zusätzliches Personal ein, um die Schweizer Kunden zu bedienen. Ob Fremdsprachenkenntnisse in Schwyzerdütsch vorausgesetzt wurden, ist nicht überliefert.
Hier konnten wir sehr anschaulich ein volkswirtschaftliches Phänomen beobachten, das zum Verständnis der Eurokrise (ja, es gibt eine! ;-) ) sehr hilfreich ist. Wenn sich die Währungsverhältnisse verschieben, verschieben sich sofort auch die Warenströme. Hier konnten wir diese Warenströme live vor der Kamera beobachten. Wir sahen, wie sich die Karawane an Autos mit Schweizer Kennzeichen und dem Handschuhfach voller Fränkli nach Deutschland schob. Wir sahen Hausfrauen, bepackt mit Einkaufstüten, die ihre erworbenen Schätze über den Grenzübergang Konstanz nach Hause in die Schweiz bewegten, während die Schweizer Franken aus der Alpenrepublik nach Deutschland wanderten. Im wahrsten Sinne des Wortes eine Krötenwanderung der ganz besonderen Art. Denn auf der anderen Seite des Schlagbaums sah man die Kehrseite der Medaille. Dem Jubel der deutschen Einzelhändler stand hier das Wehklagen der Schweizer Gewerbetreibenden gegenüber. Bei Aldi Suisse herrscht gähnende Leere, nur eine Kasse ist besetzt, und über den Parkplatz bewegen sich bestenfalls die Eichhörnchen.
So etwas passiert überall dort auf der Welt, wo sich die Währungen auf unnatürliche Weise stark verändern. Denn die Aufwertung des Schweizer Frankens war ja keine Folge einer explodierenden Wirtschaftskraft des Alpenstaates, sondern passierte durch die künstliche Nachfrage nach Franken durch die Europäer, die ihrer eigenen Währung nicht mehr vertrauten. Normalerweise kann man derlei Verschiebungen der Warenströme nicht so herrlich anschaulich beobachten. Sie geschehen viel mehr still und heimlich per Mausklick oder telefonischem Großauftrag zwischen Unternehmen, die plötzlich ihre Bestellung in einem anderen Land tätigen. Erst am Jahresende erkennen die Wirtschaftsfachleute an den langweiligen Handelsbilanzen, welche Auswirkungen die veränderten Währungen hatten.
Der Aufschwung beim deutschen Einzelhandel hatte, wie beobachtet, katastrophale Auswirkungen auf die Schweizer Einzelhändler. Aber nicht nur auf die. Auch die Schweizer Exportindustrie hatte plötzlich größte Probleme mit ihren Absätzen. Für einen Deutschen oder Franzosen kostete die Schweizer Nobeluhr jetzt schlagartig 10 000 Euro statt bis eben noch 6700 Euro. Ähnliche Preissprünge trafen die Schweizer Taschenmesser, die Schoggi und viele andere Produkte im Hightech-Bereich. Die Exporte der Schweiz gingen dramatisch zurück. Der Tourismus hatte größte Umsatzeinbußen. Die EUROpäer konnten sich die Schweiz einfach nicht mehr leisten. Ein Abendessen für zwei Erwachsene und zwei Kinder kam ohne überschwenglichen Luxus bei 300 bis 400 Euro zum Stehen. Selbst die Schweizer bevorzugten das Skifahren in Österreich, weil es dort aufgrund des Wechselkurses so schön billig war.
Doch auf deutscher Seite herrschte nicht nur Freude über diese Entwicklung. Etliche Hausbesitzer und auch Industrieunternehmen hatten in den Jahren zuvor ein lukratives, aber gefährliches Spiel gespielt. Sie hatten zur Finanzierung ihres Betriebs oder des Einfamilienhauses ein Darlehen in Schweizer Franken aufgenommen. Sie fragen sich, warum? Ich mich auch! Die Rechnung war wohl folgende: Die Zinsen in der Schweiz sind seit vielen Jahren deutlich niedriger als in Deutschland. Das liegt unter anderem daran, dass wegen des Bankgeheimnisses schon immer viel Geld – ob schwarz, ob weiß – in die Schweiz geflossen ist. Und so hatten die Schweizer Banken keine Notwendigkeit, hohe Zinsen zu zahlen, um Geld anzulocken. Es wurde ihnen ja aufgedrängt. Also konnten sie wiederum zu niedrigen Zinssätzen Kredite vergeben. Das hat mancher risikofreudige deutsche Häuslebauer gerne genutzt. Er hat einen Kredit in Schweizer Franken aufgenommen, das Geld in Euro getauscht und sein Traumhaus gebaut. Die 1 , 5 Prozent Zinsen haben ein besonders prächtiges Häuschen ermöglicht. Aber wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe. Denn natürlich muss der Häuslebauer der Bank ja Schweizer Franken zurückgeben.
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