Shutdown
Bildrand.
»Volksverhetzer. Die sollten sich schämen«, bemerkte Emma.
Jen nickte. »Was erwartest du von einem Sender, der jeden Abend die Ratte auftreten lässt? Die verkaufen die Zuschauer für dumm, anstatt zu informieren.«
»Schlimmer«, warf Jezzus ein, der mit einem Ohr zugehört hatte. »Medien wie ›TNN‹ verdummen das Volk. Die Leute lassen sich von diesen beschränkten Schnellschwätzern belabern und verlieren mit der Zeit selbst den Verstand.«
»Wobei wir wieder bei der Diskussion wären, ob man das Verb verdummen transitiv verwenden darf«, lachte Mike.
Alle kannten das innere Feuer ihres Ältesten, mit dem er ›TNN‹ und die gesamte Sensationspresse hasste. Gründe dafür gab es genug, musste Jen zugeben. Die Ratte war für Jezzus die Inkarnation des Bösen und eine Schande für das ganze Land wie Gitmo und der Patriot Act. Der Meister der Schimpftiraden bei ›TNN‹ verdankte den Spitznamen seinem echten Namen, Zach Rant, und dem gebräuchlichen Kürzel seiner nächtlichen Sendung ›Rant at Ten‹: ›RAT‹. Etwas unpassend, fand Jen, für einen Volkstribun, der nichts lieber tat, als im Scheinwerferlicht zu stehen – und beleidigend für die schlauen Ratten.
Linda blickte erwartungsvoll zu ihnen herüber. »Wenn ihr noch lange quatscht, wird das heute nichts mehr«, stellte sie fest.
»Nur keine Panik«, beruhigte Jen. »In fünf Minuten liegt das Zeug auf dem Server.«
Das Zeug bestand aus den gesammelten, sorgfältig ausgewählten und kommentierten Daten aus dem Computernetzwerk der ›CGO‹. Linda würde daraus den Bericht fertigen. COO Jim Ward würde in Kürze einen USB–Stick mit dem verschlüsselten Dokument und einigen bedeutsamen Seiten Klartext erhalten. Den Schlüssel für den Rest des Berichts erhielten die Kunden erst nach erfolgter Zahlung. Alles mit konventioneller Schneckenpost über zufällig gewählte Briefkästen und Postfächer, die sie mit falschen Führerscheinen mieteten. Im Zeitalter elektronischer Kommunikation war dies die sicherste Möglichkeit, anonym zu bleiben, vor allem wenn man auf jemanden wie Jezzus zählen konnte, der peinlich genau darauf achtete, dass sie keine verwertbaren Spuren hinterließen.
San Francisco, Kalifornien
Carmen Tate konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als sie auf der fünften Etage aus dem Aufzug stieg. Nach dem x-ten fruchtlosen Versuch, den sturen Don von der Notwendigkeit ihrer Reorganisation zu überzeugen, tat es gut, ins kreative Chaos der Nachrichtenredaktion abzutauchen. Das Hochhaus nahm sich geradezu bescheiden aus neben der nur einen Steinwurf entfernten Transamerica Pyramide. Die Arbeit in diesem Haus allerdings beeinflusste die Stadt, den Staat Kalifornien und das ganze Land in weitaus größerem Masse, wie sie jeden Tag aufs Neue feststellte. Hinter der unscheinbaren Fassade des Hauptquartiers von Donald Goodmans Medienkonzern an der Sansome Street entstanden die Nachrichten, Analysen und Kommentare, die Millionen Amerikaner konsumierten wie das tägliche Brot. An Dons ›Trusted News Corporation‹ kam niemand vorbei, der in diesem Land News-Sendungen im Fernsehen produzierte, Tageszeitungen druckte oder Informationen im Internet verbreitete. Wäre das nicht der Fall, lohnte es sich nicht, hier zu arbeiten. Sie brauchte den permanenten Nervenkitzel und die Befriedigung, mit Bild und Wort träge Massen bewegen zu können.
Seit dem Blackout glich das Stockwerk mit dem riesigen offenen Großraumbüro mehr denn je einem gestörten Bienenstock. Die meisten Leute waren auf den Beinen, hetzten von einer Besprechung zur nächsten, verteilten Akten, sammelten Notizen, weil die interne Post längst zu langsam geworden war. Alles lief nun doppelt und dreimal schneller ab als vor der Stunde null, wie sie selbst den Zeitpunkt des ersten Totalausfalls genannt hatte. Sie sorgte dafür, dass es keine klassischen Redaktionssitzungen mehr gab wie vor dem Blackout. Ihr war schon lange klar, dass die alte Arbeitsweise nicht mehr funktionierte. Sie sah einfach keinen Sinn darin, dass sich jeden Tag das Zeitungsteam im ersten, die TV Crew von ›TNN‹ im fünften und die Online-Redakteure im zehnten Stock versammelten, um über dieselben Themen zu beraten. Stunde Null war die Geburt der Taskforce ›S‹ für Safeguard oder Security, Absicherung, Versorgungssicherheit, denn darum drehte sich alles. Die Chefredakteure der Print- und elektronischen Medien gehörten dazu. Die geballte Schlagkraft aller Kanäle
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