Sibirisches Roulette
jetzige Trofimow pflegt das mächtige Grabmal seiner Stammutter.
Geerbt aber hatten – Gott sei's geklagt – alle Trofimows die Sucht zum Alkohol. Soja Gamsatownas Vater, der stiernackige Gamsat Wladimowitsch Trofimow, brannte seinen Fusel nicht mehr selbst, sondern kaufte ihn. Daß er dies im benachbarten Lesnoj tat, statt im heimatlichen Lebedewka, das nahm man ihm auch wieder übel. Wieviel Gramm Wodka er am Tage soff, war unbekannt, es war auch nicht so wichtig. Die alle beschäftigende Frage war vielmehr: Woher nimmt er die Rubel für den Schnaps?
Nun gut – er fischte, wie sein Urahne, noch immer in dem kleinen See, doch der Fischreichtum ließ von Jahr zu Jahr nach. Von den Feldern erntete er das tägliche Mahl, aber der Brauch, auch das Fleisch selbst zu schießen, war längst vorbei, seitdem es Straßen gab, Hochspannungsleitungen, Baumfällerkolonnen und Wasserfachleute aus Swerdlowsk, die begonnen hatten, die kilometerweiten Sümpfe trockenzulegen, um fruchtbares Ackerland daraus zu machen.
»Er kann nur betrügen«, sagte Grigori Valentinowitsch Korolew, der Dorfvorsteher von Lebedewka, immer wieder, wenn man von Trofimow sprach. »Betrügen, das ist es … Wovon sollte er sonst leben?« Aber wen betrog er? In Lebedewka gab es keine Geschädigten, die gegen ihn aussagen konnten. Verständlich, daß so etwas die Nachbarn nervös macht. Nichts ist verdächtiger als ein Mensch, von dem man nichts weiß.
Einen Aufruhr innerhalb der Häuser von Lebedewka gab es auch, als Gamsat Wladimowitsch plötzlich von einer Fahrt nach unbekannt eine Frau mitbrachte. Ein rothaariges Weib mit munteren grünlichen Augen. Drall und kräftig, ja, sogar hübsch war sie, wie die Männer neidvoll feststellten. Und eine Schande war's, daß so ein Weibchen ausgerechnet zu einem Trofimow in den Kasten kroch. Aber so ist es auf der Welt: Ein Halunke holt sich immer das beste Stück. Ob Strolch oder Politiker – man muß nur richtig zugreifen können.
Ein Jahr später wurde den Trofimows ein Mädchen geboren: Soja Gamsatowna. Das war vor nunmehr dreiundzwanzig Jahren gewesen, und sie blieb das einzige Kind, denn die ›rote Trofimowa‹ mußte nach der schweren Geburt – zweiunddreißig Stunden lang dauerten die Wehen – in Tobolsk operiert werden und kam als unfruchtbar zurück. Gamsat ertränkte seine Erschütterung in Schnaps, war eine ganze Woche lang wie tot durch Alkohol, aber dann ertrug er sein Schicksal stumm und gottergeben. Und als seine ›Rote‹ starb – an einem rostigen Nagel, an dem sie sich die Haut aufritzte, wodurch sie einen Wundstarrkrampf bekam –, begrub er sie neben dem Holzdenkmal seines Ahnen. Ein so gewaltiges Grabmal hatte auch Platz für zwei.
Soja Gamsatowna, das Töchterchen, wuchs zu einer solchen Schönheit heran, daß die Weiber von Lebedewka ihr die Pest an den Hals wünschten. Nicht nur die Jungen starrten ihr nach, wenn sie – selten genug – über die Dorfstraße ging, langbeinig, mit schmalen Schenkeln, die Hüften schwingend und mit bei jedem Schritt bewegten und frei schwebenden üppigen Brüsten, dazu das weizenhelle Haar und ein halb spöttisches, halb böses Lächeln auf den Lippen, der Teufel hole sie! Nein, auch die älteren Männer und Familienväter schielten zu ihr hin, und so etwas wie Träumen zog dann in ihre Augen.
Sogar Papsikjan, sonst ein biederer Schuhmacher mit fünf lieben Kinderchen, erschien heimlich bei Väterchen Schagin, dem Popen von Lebedewka, zur Beichte und flüsterte ihm verstört vor: »Vater, ich träume von ihr. Jede Nacht. Sag, ist das eine Sünde?« Und Schagin antwortete mit gedämpfter Stimme: »Nein, Iwan Iljanowitsch, keine Sünde ist's. Auch ein solches Weib ist Gottes Werk. Nur faß sie nicht an, denn dann hätte der Satan gesiegt …«
Drei Jahre lang war Soja in Tjumen gewesen, hatte dort das Schneiderhandwerk erlernt und kam mit einem guten Prüfungszeugnis wieder nach Hause zurück – und auf das modernste angezogen. Mit Jeans aus Amerika sogar. Mit Röcken so kurz, daß man den halben Schenkel sah. Mit Blusen so durchsichtig wie Spinnennetze und mit hochhackigen Schuhen … Gott sei's geklagt, und das in Lebedewka!
Der Höhepunkt aber war, daß sie sich aus Tjumen ein Motorrad mitgebracht hatte. Eine leichte Maschine, gewiß, aber robust und schnell; man konnte mit ihr in kurzer Zeit überall hinfahren, wo die Welt anders aussah als in Lebedewka. Wenn Soja auf ihrem Motorrad durch das Dorf ratterte, starrten ihr die Frauen böse
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