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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fernen Wüsten wollte man Felder zaubern …, doch die Gebiete an Ob und Irtysch, deren Fluten in großen Mengen – von 60 Kubikkilometer Wasser spricht man – wieder rückwärts fließen sollen in den trockenen Süden, werden dabei verkümmern. Die Dämme und Schleusen werden die Laichwanderung der Fische verhindern. Industrien werden sich am Sib-Aral-Kanal, der neuen Lebensader, ansiedeln. Die Wälder werden sterben, die Sümpfe austrocknen. Das Jahrtausende alte Gleichgewicht der Natur wird vernichtet, das gesamte Ökosystem umgeworfen werden … der Mensch dreht an der Ordnung der Schöpfung.
    Vor fast einem Jahr hatte es in Lebedewka eine Versammlung in der Stolowaja gegeben, dem Saal, in dem vieles gefeiert wurde: die Oktoberrevolution, Lenins Geburtstag, Väterchen Frost. Ab und zu hielt auch Korolew, der Ortsvorsteher, eine belehrende Rede im Sinne der Parteipropaganda. Meistens aber wurde hier am Sonntag getanzt, wenn alle aus der Kirche kamen und Kyrill Vadimowitsch Schagin, der Pope, ihnen zum hundertsten Male gesagt hatte, welch große Sünder sie seien. Man nahm das gelassen hin; wie Korolew getreu dem Geist des Marxismus-Leninismus den Propagandatext der Partei vorlas, so wetterte der Pope getreu dem Auftrag seines Gottes ebenso heftig gegen die Sünde. Beides hörte man sich an, weil es eine gute Abwechslung war. Andere Leute, die vornehmen Bürger in den Städten, gingen ins Theater; in Lebedewka saß man in der Stolowaja oder stand in der Kirche und war ebenso zufrieden mit den Darbietungen.
    Nun also … damals vor fast einem Jahr hielt ein Professor Vadim Viktorowitsch Filaret einen Vortrag über die Zukunft – das interessierte jeden – und berichtete von dem Plan des großen Kanals, der sich von dort, wo Ob und Irtysch zusammenfließen, bis hinunter in die mittelasiatischen Wüsten erstrecken sollte. Genaugenommen: Professor Filaret redete weniger vom Kanal als vielmehr von den Folgen für Sibirien, falls er tatsächlich jemals gebaut würde.
    Am Ende des Vortrages lag tiefes Schweigen in der Stolowaja, die Lebedewkaner starrten betreten auf die Dielen oder gegen die Decke und begriffen, daß ihre Zukunft zwar fortschrittlich im Sinn der Partei, für ihre persönliche Existenz jedoch vernichtend war. Im Jahr 2000 würde hier alles anders aussehen, also in knapp vierzehn Jahren … Liebe Brüder, was sind vierzehn Jahre?! Ein Fingerschnalzen, weiter nichts. Man sehe sich nur Marianka an. Ein strammes Mädchen, genau vierzehn Jahre alt – und es ist einem, als sei es erst eine Woche her, daß sie geboren wurde. Vierzehn Jahre … das ist, wie einmal um das Haus herumgehen. Und in vierzehn Jahren sollen wir unsere Heimat, hier unser Dorf, nicht mehr wiederfinden?
    »Das werden wir verhindern«, hatte Masuk damals gebrüllt und damit allen aus der Seele gesprochen. »Ja, verhindern werden wir das!«
    Und Professor Filaret hatte geantwortet: »Liebe Brüder und Schwestern, wenn ihr Hilfe braucht, ich bin immer für euch da. Die neuesten Planungen werdet ihr von mir erfahren: wo man anfängt mit den Bauten, wo die Bewachung steht, welche Landstreifen das Militär kontrollieren wird, wo Geräte, Waffen und Sprengmaterial gelagert sind. Ich bin Mitglied des Moskauer Instituts für Wasserprobleme, das den Bau des Kanals übernommen hat. Vertraut mir, meine Lieben; was ich euch erzählt habe, ist nur ein Teil von dem, was wirklich geschieht, sobald das Wasser des Ob rückwärts fließt. Wenn ihr alles wüßtet; wenn ich euch zeigen würde, wie sich die ganze Welt verändern wird, würdet ihr nur noch beten. Aber ihr sollt nicht beten, ihr sollt handeln. Taten sind leiser als Worte.«
    So begann es damals. Von diesem Tag an gab es keine Ruhe mehr im Gebiet zwischen Tobolsk und Tjumen. Probebohrstellen flogen in den Himmel, Arbeitsbaracken brannten ab, Masuks genial konstruierte Satansbomben zerrissen Rotarmisten, Materiallager gingen in Flammen auf, ein Hubschrauber der Baubehörde explodierte in der Luft – und nun war ein Stück Probedamm zerstört. Ein scheußlicher Krieg aus dem dunkel heraus, blutig und grausam, Unschuldige tötend, um die Schuldigen zu treffen – also völlig sinnlos, denn bisher haben sich in noch keinem einzigen Krieg die Schuldigen durch den millionenfachen Tod der anderen belehren lassen. Warum sollten sie es jetzt, gerade hier begreifen? Aber überall, wo man darüber sprach, hieß es: es geht um unser Land, unsere Heimat, unsere Zukunft. Rechnet doch mal, Genossen: In

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