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Sich lieben

Sich lieben

Titel: Sich lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Philippe Toussaint
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auf dem Fußboden, in einer Ecke des Zimmers, und er zeigte mir rasch, wie es funktionierte, bevor er wieder hinunterstieg. Ich las zum letzten Mal die Nachricht, die mit ihren mit dem Pinsel gezogenen großen Buchstaben wie ein anonymer Brief eines vorgeblichen Zeugen eines Mords wirkte: Marie. Ich bin in Kioto. Warte nicht auf mich .
    Ich nahm einen Füller von seinem Schreibtisch und unterzeichnete die Nachricht, oben auf die Seite setzte ich quer ihre Zimmernummer: Room 1619. Ich legte das Blatt in das Gerät, wählte die Nummer des Hotels und schickte das Fax ab. Als ich so traurig das Blatt im Gerät verschwinden sah, dachte ich bei mir, daß Marie, wenn sie jetzt nicht im Hotel war, bei ihrer Rückkehr die unheilvolle Ankündigung You have a fax. Please contact the central desk , vorfinden würde, die auf dem blauen Bildschirm des Fernsehers im leeren Zimmer blinken würde.
    Vorsichtig stieg ich die Treppe hinunter, um zu Bernard zurückzukehren, der im Salon Kaffee trank, sachte schob ich den Fusuma auseinander, um einzutreten, machte ihn hinter mir wieder zu. Das Zimmer war warm, abgedichtet, die Schiebewände an allen Seiten geschlossen. Wir saßen auf dem Boden, auf einer Heizdecke, neben einem niedrigen Tisch voller Zeitungen und diverser Kleinigkeiten, ich hatte meinen Mantel ausgezogen und, zu einem Haufen zusammengeknüllt, neben mich auf die Matte gelegt. Bernard hatte sich niedergekniet, um einen Wandschrank zu öffnen, und eine Flasche uralten Whiskys rausgeholt, hatte sich ein Glas eingegossen und mir auch eins angeboten, ich hatte einen Fingerhut voll akzeptiert, wegen der Erkältung. Er hatte die Flasche zurückgestellt, eine CD ausgewählt und sie, bevor er sie in den CD-Player schob, abgepustet. Von Zeit zu Zeit nahmen wir einen Schluck Whisky, in Socken auf der Matte, Bernard in Schneidersitz und ich mit gestreckten Beinen, mein Glas in der Hand. Ich hatte die Japan Times vom Tag aufgeschlagen und blätterte still darin herum, die aufgeschlagenen Seiten neben mir auf dem Tatami (auf der letzten Seite war ein Photo des Sumotori Musashimaru in einer sauschlechten Stellung, Junge, Junge). Bernard, der von Zeit zu Zeit einen Schluck trank, erklärte mir, daß er am nächsten Morgen sehr früh weg müsse (er hielt Lehrveranstaltungen an einer entfernten Universität und hatte seine erste um 9 Uhr) und sicherlich erst spätabends heimkomme. Er gab mir einige Anleitungen hinsichtlich des Hauses, wir erhoben uns und durchquerten den Raum im Dunklen, um das Bad zu besichtigen, wo er für mich ein Handtuch und einen Waschlappen auf einen Hocker legte, dann die Toiletten hinten im Flur, traditionell, die ich als türkische bezeichnet hätte, wären sie nicht doch sehr viel wahrscheinlicher japanische gewesen. Er wolle mir gern die Hausschlüssel überlassen, aber das wäre völlig nutzlos für mich, niemand schließt die Türen ab, sagte er (das einzige Risiko, wenn ich es doch machte, wäre, daß ich nicht mehr reinkäme), das Telefon hatte ich ja gesehen, es stand in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock, er vertraute mir sein Fahrrad an, ich könne es benutzen, erklärte er mir, während wir im Halbschatten des Gangs, der auf einen Innengarten ging, umkehrten (hinsichtlich des Fahrrads keine besonderen Erläuterungen, du kennst das Prinzip des Zweirads, nicht wahr, sagte er maliziös – man sah, daß er Pädagoge war –, in Japan fährt man links, fügte er in seinem trockenen Humor hinzu, ohne sich umzudrehen).
    Am nächsten Morgen wachte ich in einem stillen Haus auf. Ich lag auf einem Futon-Bett in der Mitte eines leeren unbekannten Zimmers in verblichenen Naturfarben, Stroh und Reis, und atmete mit Schwierigkeiten, meine Erkältung schien die Stirn erobert und sich in der Stirnhöhle ausgebreitet zu haben. Im Zimmer war es eisig kalt und feucht, und ich stand nicht sofort auf. Ich blieb auf dem Rücken liegen und hörte dem fallenden Regen zu, ein leichter und dennoch erstaunlich lauter Regen, wie verstärkt durch die Resonanzen der Hohlräume, auf die er fiel, in einem ständigen Gemurmel spritzte er auf die Ziegel, tropfte von den Dachrinnen und Ästen herab. Hin und wieder hörte ich sogar, wie ein einzelner Regentropfen auf der Rundung eines Steins zerplatzte. Das Zimmer ging auf einen Innengang mit Glaswänden, der um das Haus herumführte, und von meinem Bett aus, in der Mitte des Zimmers liegend, sah ich einen kleinen Garten mit Moos und ein paar Sträuchern und über einem pagodeförmigen

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