Sich vom Schmerz befreien
Vorgeschichte vielleicht auch mehr als andere, aber sein Organismus kann sie immer leichter vermeiden und wieder loslassen. Schmerzphasen verkürzen sich. Der Patient wird belastbarer und Schmerzen werden nicht mehr so leicht ausgelöst. Das nochmalige Erleben früherer körperlicher und psychischer Symptome und Schmerzen wird weniger problematisch erlebt, was bedeutet, dass diese alten Spannungsthemen endgültig »verarbeitet« werden.
Bei Herrn M. ist hier als Beispiel sein Knie zu nennen. Aus Angst, es operieren lassen zu müssen, kam er zu mir - aber nach relativ kurzer Zeit spielten die Knieprobleme kaum mehr eine Rolle. Es traten andere, ältere Schmerzen - im Rücken und später im Nacken - in den Vordergrund. Zwar schmerzt sein Knie auch heute noch immer wieder mal, doch das vergeht meist schnell wieder. Notfalls kann er sich, wie er sagt, durch eine »Entspannungsübung« selbst aus dem Schmerz herausholen. Das Knie ist sogar belastbarer geworden als früher.
Menschen, mit denen ich arbeite, werden insgesamt ausgeglichener und zufriedener, finden zu neuen Einstellungen und Arten, mit sich und ihrem Körper umzugehen und Probleme zu lösen. Herr M. beispielsweise fand Freude am Sport, lernte dadurch Menschen kennen und gewann neue Freunde. Seine Einstellung zur Arbeit war weniger »verbissen« auf ein möglichst perfektes Ergebnis ausgerichtet, er fand wieder mehr Freude daran, erlaubte sich »Schwächen« und »Fehler«. Dies kann man interpretieren als »innere Lösung« vom Anspruch seines Vaters an ihn, immer alles möglichst gut zu machen, damit er anderen etwas beweisen kann. Das heiÃt: Es kommt nicht nur zu Veränderungen, was den Schmerz betrifft, sondern auf allen Ebenen - auch und vor allem auf der psychischen: Es entwickeln sich oft neue Einstellungen und Sichtweisen, Denkmuster werden flexibler, Trampelpfade können auch verlassen und zu anderen gewechselt werden. Herr M. trifft heute seinen Vater öfter als früher und sie reden mehr miteinander.
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Kommunikative Therapie ist aktive Therapie, durchaus anstrengend und erfordert zwischendurch auch unterstützende »reparierende« medizinische und/oder therapeutische MaÃnahmen. Sie sind, um wieder ein Bild zu benutzen, »Krücken«, um wieder Laufen zu lernen. Um sie loszuwerden, müssen sie
in den kommunikativen Therapieprozess integriert werden, dürfen dem Patienten jedoch nicht die Verantwortung für den Schmerz und ein Verhalten »im Gleichgewicht« abnehmen. Nicht jede Spannung bedeutet Schmerz, doch hinter jedem Schmerz steckt das Verhalten »Muskelspannung«. Schmerzbehandlung ist also notwendigerweise ein kommunikativer Prozess, von dessen individueller Gestaltung abhängt, wie erfolgreich sie ist!
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf das Thema Medikamente zu sprechen kommen: Ich denke, innerhalb der Schmerztherapie wird damit oft zu unbedacht umgegangen. Auch hier werden »Grabenkämpfe« geführt zwischen denen, für die Schmerzbehandlung immer Medikamente bedeutet und Therapie nur der Unterstützung dient, und anderen, die jedes Medikament grundsätzlich ablehnen. Diese Kämpfe helfen niemandem und verunsichern den Patienten nur. Sicherlich können Medikamente Leben retten. Jedoch sollten die Bemühungen stets auch dorthin gehen, einem Patienten zu helfen, sie auch wieder loszuwerden bzw. auf ein Minimum zu reduzieren.
Das gilt grundsätzlich - nicht nur für Schmerzbehandlung, sondern letztendlich für alle Krankheiten, die über Spannungsverhalten zum Ausdruck kommen: Herz-Kreislauf-Probleme, Magen-Darm-Störungen, Erschöpfungszustände und Schlafstörungen, motorische Probleme, neurologische Erkrankungen, Angststörungen und viele mehr. Eine verantwortungsvolle kommunikative Therapie kann vermeiden, dass ein Patient zu einer »wandelnden Apotheke« wird, die Folgen einer Medikation durch andere behandelt werden - und so immer mehr »Krankheiten« entstehen.
Das Thema Medikamente erlebe ich als eine ständige »Gratwanderung«. Einerseits behindern sie durch die Schmerzbetäubung den therapeutischen Prozess, denn das Nervensystem kann so seine Muskelspannung nicht wahrnehmen,
um sie zu regulieren, verlernt dies zunehmend und ist deshalb immer mehr auf Medikamente angewiesen. Andererseits kann die Einstellung, grundsätzlich keine Medikamente zu nehmen und
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