Sich vom Schmerz befreien
auch der Kopfschmerz. Gleichzeitig jedoch fällt der Schutz weg, geht das Sicherheitsgefühl verloren und die Angstreaktion wird erneut produziert. Der Patient kann dafür meist keinen Grund angeben (»Ich weià nicht, warum ich jetzt so unruhig werde und weine.«). Es kann aber auch sein, dass sich dazugehörige bildhafte Erinnerungen einstellen (wie bei Herrn M. die Situation mit der FuÃverletzung als Kind, siehe S. 107 ff.).
Das unangenehme Angsterleben jedenfalls kann dafür sorgen, dass der Patient sich sofort wieder schützt und die Nackenmuskeln anspannt, sodass sich vielleicht sogar der Kopfschmerz wieder einstellt. Vor allem hinter Migräne stecken häufig Angstthemen aus der Kindheit des Betroffenen.
Ein anderes Beispiel: Muskelaktivität ist, wie wir wissen, die Basis aller Wahrnehmung, vor allem auch unseres eigenen Körpers. Ein muskuläres Spannungsmuster, das gewohnheitsmäÃig produziert wird, mag zwar zu einem Schmerzproblem führen, es sorgt aber auch für ein »vertrautes« Körpergefühl. Ãndert es sich im Zusammenhang mit einer kommunikativen Behandlung, so sorgt auch dies eventuell augenblicklich für weniger Schmerzen und mag - objektiv betrachtet - ökonomischer und biomechanisch weniger belastend für den Körper sein. Oft jedoch fühlt er sich dann »fremd«, »ungewohnt«, »schief«, »verspannt« oder gar »unangenehm« an, sodass es gegen
diese Veränderung in Richtung Gleichgewicht oft zunächst durchaus Widerstände im Nervensystem geben kann. Dann gerät der therapeutische Prozess durchaus mal ins Stocken. Entspannung kann man nicht erzwingen! Hier wird wiederum verständlich, dass mechanische Schmerzbehandlungen durch Massagen oder Medikamente nur vorübergehend wirksam sind, langfristig aber nichts am Verhalten ändern und so Spannung und Schmerz sogar gröÃer werden.
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Ãber den Erfolg einer Schmerztherapie entscheidet also die Qualität der Kommunikation zwischen Therapeut und Patient und stellt somit an beide gewisse Anforderungen. Und: Für diese ungewohnte Art der Schmerzbehandlung benötigt der Patient eine grundlegend andere Einstellung. Dies muss vorher abgeklärt werden. Ein entscheidender Grundstein für den Verlauf und Erfolg einer Therapie wird also bereits zu Beginn gelegt. Hierzu gäbe es viel zu sagen, würde jedoch den Rahmen dieses Buches sprengen. Es kann durchaus sein, dass sich nach dem ersten Gespräch herausstellt, dass es keine gemeinsame Arbeit geben kann, weil die »Chemie« zwischen Patient und Therapeut nicht stimmt oder weil sich der Patient nicht auf eine andere Sichtweise bezüglich Schmerz einlassen kann. In der Regel jedoch sind Menschen mit einem Behandlungswunsch motiviert, sonst würden sie nicht kommen.
Wichtig ist deshalb, dass ein Therapeut seine Funktion als Begleiter ernst nimmt. Die Beziehung zwischen Arzt bzw. Therapeut und Patient ist eher die von Partnern in einem Spiel, in dem sich beide brauchen und voneinander lernen. Ziel kommunikativer Schmerztherapie ist, einen Patienten zum Experten zu machen und ihm bzw. seinem Organismus zu helfen, die Spannung hinter dem Schmerz regulieren zu lernen. Dazu muss die Therapie ihm Raum geben, um neue Handlungsräume und Bewegungsmöglichkeiten zu entdecken. Tempo und Rhythmus des Prozesses bestimmt der Organismus des Patienten.
Ungeduld und Machbarkeitswahn sind jedoch die gröÃten Feinde. Eine gelingende Therapie liefert sozusagen die Buchstaben, aus denen der Patient dann seine eigenen Wörter und Sätze bildet.
Wie wir bisher gesehen haben, kann niemand vorhersagen, wie und wann ein Nervensystem reagiert. Neben den unmittelbaren gibt es Reaktionen nach Stunden oder auch Tagen, die für den Patienten angenehm oder aber auch unangenehm sind, oder solche, die er gar nicht mit der Behandlung in Verbindung bringt. »Unerklärliche Reaktionen«, die ich in den Beispielen geschildert habe, bringen oft groÃe Verwirrung und Unsicherheit für den Betroffenen. Deshalb sollte man als Therapeut auch auÃerhalb der Behandlungstermine als Anlaufstelle für Fragen zur Verfügung stehen und entsprechend intervenieren, um zu verhindern, dass neue Spannungen entstehen.
Ich erhielt beispielsweise eines Tages den Anruf eines Mannes, der sich erst zwei Tage zuvor zu einer ersten Sitzung mit mir getroffen hatte. Er litt seit Längerem unter
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