Sich vom Schmerz befreien
Welt- und Menschenbildes her, muss eine neue Denk- und Handlungsweise in der Medizin entstehen.
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Auf der Grundlage meiner langjährigen Praxiserfahrung mit Schmerzpatienten mache ich mir in diesem Buch Gedanken darüber, wie eine Ãnderung speziell für die Schmerztherapie aussehen könnte. Einen groÃen Teil der Kosten nehmen chronische Schmerzen und Schmerzkrankheiten in Anspruch - nicht nur durch ihre Behandlung und die Entwicklung von Medikamenten, sondern vor allem auch durch schmerzbedingte Ausfälle am Arbeitsplatz. Insbesondere Menschen mit Schmerzproblemen fühlen sich von der Medizin oft nicht verstanden und »im Stich gelassen«. Viele suchen ihr Heil in »alternativen Methoden« - oft genug vergebens, weil sich herausstellt,
dass es sich hier nur um eine andere Facette desselben Weltbildes handelt: eine andere Sichtweise der Maschine mit anderen Reparaturversuchen. Ãrzte und Therapeuten, die nicht nur als Spezialisten und Experten, sondern auch als Menschen helfen möchten, suchen dazu in ihren »Werkzeugkästen« nach geeigneten Hilfsmitteln und holen sich ebenfalls immer mehr »alternative« Elemente dazu in der Hoffnung, Schmerzen noch effizienter beseitigen zu können. Aber auch sie bleiben dabei in ihrem Weltbild gefangen.
Allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und systemtheoretischen Ansätzen zum Trotz sind Schmerzmedizin und Schmerztherapie weiterhin gut gemeinte Versuche, durch die Addition mehrerer Behandlungen »ganzheitlich« zu arbeiten. Dabei liegt der Schwerpunkt in der Schmerztherapie auf der Behandlung des Körpers, vor allem durch Medikamente. Die psychische Ebene wird meistens erst dann in Betracht gezogen, wenn körperlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind und der Schmerz weiterhin besteht. So bleibt jeder in seiner Welt. Ãrzte, Psychologen und Therapeuten sehen den Schmerz als objektive Tatsache, jeder aus seiner Perspektive. Die Schmerzwelt des Patienten aber ist subjektives Erleben und Leiden. In der Schmerzmedizin interessiert das allerdings niemanden, und so bleibt dem Patienten nichts anderes übrig, als ebenfalls den Standpunkt der objektiven AuÃensicht einzunehmen: »Ich weià ja, dass ich geheilt bin, aber ich bilde mir immer noch ein, Schmerzen zu haben.«
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In der Schmerztherapie geht es um Menschen, also muss der Mensch auch im Mittelpunkt stehen. Er ist keine Maschine, in der bestimmte Ursachen zu bestimmten Schmerzen führen und durch Reparatur beseitigt werden. Schmerz ist wie jede Krankheit auch ein aktives Verhalten, mit dem der Organismus etwas in Ordnung bringen möchte. Reparatur ist wichtig und »rettet Leben«, beseitigt aber nicht automatisch Schmerzen
und kann sie - wie schon betont - sogar verschlimmern oder zu ihrem Auslöser werden.
Ausgangspunkt muss deshalb der Mensch und sein Erleben sein. Dieses betrifft seine Muskelaktivität, die nach dem Spannungsmodell durch Schmerz harmonisiert werden soll. Bei einem Schmerzproblem ist die Muskelaktivität in eine »Teufelsspirale« geraten und zu einem Spannungsproblem geworden, das augenblicklich nicht kontrollierbar ist. Schmerzbehandlung bedeutet, ein Gleichgewicht wiederherzustellen. Dafür muss das subjektive Erleben zum Ausgangspunkt »kommunikativer Therapie« gemacht werden, an dem sich auch alle »reparierenden« MaÃnahmen zur Behandlung orientieren. Denn selbst der Erfolg eines chirurgischen Eingriffs hängt letztendlich von der »Spannungssituation« des Patienten ab, also auch von seiner Einstellung, seinen Ãngsten, seinem Vertrauen und damit seiner Beziehung zum Arzt.
Um Ihnen eine andere Sichtweise des Schmerzes und damit ein anderes Denken und Handeln in der Schmerztherapie schmackhaft zu machen, habe ich in meinem Buch also »die Seite gewechselt«. Ich betrachte Schmerz als aktives Verhalten des Menschen, unter dem er leidet. Dem wird zunächst niemand widersprechen, da Schmerz als Vorgang definiert ist, der im Gehirn entsteht und ausschlieÃlich subjektiv erlebt wird. Doch wenn ich dieses subjektive Erleben dann zum Ausgangspunkt und bestimmenden Faktor der Schmerzbehandlung mache, wird sich sicherlich Widerstand regen. Und ich höre schon den Vorwurf: »Eine Therapie körperlicher Probleme, die auf subjektive Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken baut, ist doch wohl ein Rückschritt in die Zeit, als wir noch nicht die Erkenntnisse der modernen
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