Sichelmond
sich Jachael zwischen all den zerbrochenen Holzbänken, den Steinen und dem Staub der Wände. Schwer atmend suchte er Rouvens Blick.
»Ich hoffe, du genießt es so wie ich«, brachte er hervor. Rouven merkte seiner Stimme an, dass Jachael sich diese Auseinandersetzung anders vorgestellt hatte. Rouvens Kräfte hatte er wohl unterschätzt.
Aber auch Rouven selbst war erstaunt, wie sehr er seinen Körper mit den Fähigkeiten beherrschen konnte. Trotz der Neumondnacht und trotz der langen Zeit, in der er seine Kräfte nicht mehr eingesetzt hatte.
In dieser kurzen Verschnaufpause galten Rouvens Gedanken Tabitha, die in der realen Welt in dieser Kapelle saß. Er fragte sich, ob sie wohl bemerkte, dass darin etwas vor sich ging. Er hätte zu gern gewusst, ob sie von diesem Kampf etwas ahnte und ob sie Rouvens Anwesenheit spürte. Rouven konnte nicht abschätzen, wie stark und intensiv diese Parallelwelt war, die Jachael eigens für ihren Kampf geschaffen hatte. Wie sehr diese Blase, wie er es nannte, sie von der wirklichen Welt abschirmte.
Jachaels Schnaufen verstummte. Er sammelte schnell wieder seine Kräfte. Rouven wurde bewusst, dass er nur jetzt, in dieser Phase, eine Chance gegen Jachaels körperliche Übermacht haben konnte. Ohne weiter darüber nachzudenken, wieder aus einem einzigen Impuls heraus, stürzte er pfeilschnell vor und griff Jachael erneut an.
Dieser hatte die Attacke tatsächlich nicht vorausgesehen. In seiner Krähengestalt stürzte sich Rouven auf Jachael. Seine stahlharten Flügelspitzen bohrten sich tief in die Hände des Stierwesens. Ohne ein Zögern hob er den Kopf und stieß seinen Schnabel in die Brust Jachaels.
Die Erde bebte so stark wie nie zuvor.
Im gleichen Moment verspürte Rouven einen Schnitt in sein Herz, der so schmerzhaft war, dass er augenblicklich alle Kraft verlor. Er stürzte nach hinten, krachte auf den Boden und rang nach Luft. Seine Krähengestalt zog sich zurück, und als Rouven an seinem menschlichen Körper hinabschaute, sah er Blut aus seinem Körper strömen. Genau an der Stelle, an der sich sein Herz befand, klaffte eine breite Wunde.
Jachael lachte donnernd auf. Er stand an die Wand gelehnt, hechelte lachend und blickte auf Rouven herab, die Hände blutend von Rouvens Angriff. Doch vor allem: In seiner Brust gab es ebenfalls einen tiefen Riss über dem Herzen.
»Da staunst du, alter Federbeutel, oder?« Jachael musste seine Kräfte bündeln, um sprechen zu können. Rouvens Attacke hatte ihn sichtlich geschwächt. »Wunderst du dich, hm?«
Rouven hielt sich beide Hände auf seine Wunde. »Was hat das zu bedeuten?«
Jachael grinste und schnalzte kaum hörbar mit der Zunge. »Hatte ich ganz vergessen zu erwähnen«, brachte er hervor. »Es gibt da noch eine Spielregel in unserem fairen Kampf, von der ich dir nichts erzählt hatte.«
In Rouven machte sich Panik breit. »Was meinst du damit?«
»Nachdenken, du Nachteule«, antwortete Jachael. »Du musst mal nachdenken. Du bist als Wächter der Seelen zurückgekehrt, nicht wahr?«
»Um gegen dich anzutreten. Ja.«
»Aber du hast diesen Schwur mir gegenüber getan.« Jachael lachte hechelnd. Dieser Gedanke amüsierte ihn. Es war eine Genugtuung für ihn. Das konnte Rouven klar erkennen. »Auch unsere Welt hat soihre Gesetze«, sagte er weiter. »Du hast den Schwur in meiner Gegenwart ausgesprochen. An meiner Seite hast du dich zu Rouven der Krähe zurückverwandelt. Und damit hast du dieses Leben als Wächter der Seelen an mein Leben gebunden und verknüpft.«
Rouven brach der Schweiß aus. »Was?«
Jachael lachte lauter. »Du hättest dich in der Halle der Seelen zurückverwandeln müssen. Dann wärst du an deine vielen winzigen Freunde gebunden. Aber jetzt …« Das Lachen stieg an. »Hier …« Er lachte mehr und mehr auf. »Jede tiefe Wunde, die du mir zufügst, fügst du auch dir selbst zu. Verstehst du? Mein Tod bedeutet deinen Tod, Rouven.« Sein Lachen füllte donnernd den Raum. Bis er urplötzlich schwieg. Er beugte sich vor und sprach in das Echo seines Lachens hinein: »Es gibt kein Entkommen, Rouven. Wie dieser Kampf sich auch entscheiden wird … Wer immer heute Nacht in dieser Kapelle siegt … Einer wird ganz gewiss sterben, Rouven: Du!«
T abitha erwachte. Nur langsam kam sie wieder zu sich. Sie dehnte ihren Rücken, was ihr sehr guttat, nach der langen Zeit, die sie gekrümmt auf dieser Bank in der Kapelle geschlafen hatte. Ihr Blick fiel auf die Kerze in ihrer Hand, und Tabitha
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