Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
Vom Netzwerk:
wegducken, doch Jachael kam ihm zuvor und ergriff pfeilschnell Rouvens Kopf. »Wir können diese wunderbare Blase, in der wir uns befinden, für einen Moment durchbrechen, wenn du magst«, schlug er vor. Und tatsächlich, für einen kurzen Augenblick gab er Rouven den Blick frei auf die tatsächliche Kapelle.
    Rouvens Herz überschlug sich. Auf einer der hinteren Bänke saß Tabitha. Sie hielt eine Kerze in der Hand und war eingeschlafen. Sie sah erschöpft und entkräftet aus. Rouven vermutete, dass sie die ganzen drei Tage hier auf ihn gewartet hatte. Vielleicht unterbrochen vonder Sorge um Nana, sodass sie vielleicht zwischen Wasserwerk und Kapelle hin- und hergehetzt war.
    Bis auf die Kerze in Tabithas Hand war die Kapelle stockfinster. Dies bestätigte Rouvens Verdacht, dass sie sich wirklich in einer Neumondnacht befanden und Jachael ihm nicht etwas vorgegaukelt hatte.
    Mit einem Ruck zog Jachael seine Hände zurück, und Rouven fand sich in der Kapelle wieder, die nur in Jachaels Illusion bestand.
    »Netter Trick, oder?«, grinste Jachael. »Und es gibt keinerlei Möglichkeit für dich, aus meinem Zauber zu entschwinden. Oder doch: mit herausgerissenem Herzen und den Füßen voran. Aber daran arbeiten wir ja noch, nicht wahr?«
    In Rouven rumorte es. Unbändiger Hass stieg wieder in ihm auf. Hass, angestachelt durch den kurzen Blick, den Jachael ihm auf Tabitha gegönnt hatte. Ihre Situation, Nanas Untod, das Verschwinden der Seelenschützer und die Bedrohung der Halle der Seelen   – alles das ging auf Jachaels Konto. Und der stand vor Rouven und grinste nur breit. Er genoss das alles. Er hatte Freude an all dem Elend und der Angst, die er verbreitete. Und es war an der Zeit, dem Ganzen ein Ende zu setzen.
    Rouven tat, als erhebe er sich schwerfällig. Gerade so, als käme er nur mühsam auf die Beine. Doch stattdessen sammelte er alle Kräfte in sich. Er spannte die Muskeln an, wartete noch einen Moment, um den richtigen Augenblick für seinen Überraschungsangriff abzuwarten, bis er endlich blitzschnell vorschoss, direkt auf Jachael zu. Doch die Überraschung blieb aus. Jachael sprang zur Seite und gab Rouven mit einem gezielten Tritt einen Stoß, dass Rouven mit der Wucht seines Angriffs gegen die Wand schlug.
    »Olé«, rief Jachael belustigt, während er die Haltung eines spanischen Toreros einnahm. »Ich dachte, ich bin der Stier«, lachte er.
    Rouven erhob sich von der Erde und bemühte sich, die Schmerzen zu ignorieren. Sein Körper war angegriffen und kalt von den Tagen und Nächten, die er auf dem Boden der Kapelle gelegen hatte.
    Jachael tat gelangweilt. »Also, wenn das alles ist, was du zu bieten hast, dann sind wir ja in einer Viertelstunde hier fertig, oder?«
    Rouven blieb ihm die Antwort schuldig. Stattdessen ging er auf eine der Kapellenbänke zu. Er stellte einen Fuß auf die Sitzfläche, griff mit beiden Händen die Rückenlehne und zog mit aller Kraft eine meterlange Latte heraus, die er mit beiden Händen umgriff. Mit dieser Waffe stürmte er auf Jachael zu, bereit, ihm mit diesem Brett den Kopf zu spalten.
    Doch wieder kam ihm Jachael zuvor. Blitzschnell duckte er sich weg und griff sich gleichzeitig die Latte. Er riss sie aus Rouvens Händen und schlug sie ihm erst gegen den Kopf, dann in die Hüfte und schließlich so gegen die Brust, dass Rouven erneut durch die Kapelle flog.
    »Ach, bitte«, murmelte Jachael. »Da finde ich in jedem Kindergarten gefährlichere Gegner.«
    Rouven fasste sich an die Hüfte. Blut quoll ihm aus der Seite. Er fühlte sich bereits jetzt erschöpft und beinahe besiegt.
    Jachael hingegen hatte nicht einmal eine Schramme abbekommen. Rouven rechnete sich kaum noch Chancen aus. Bis Jachael etwas aussprach, das Rouven aufhorchen ließ: »Du bist dir deiner Kräfte wohl nicht mehr bewusst? Hör endlich auf, wie ein Mensch zu kämpfen, und rufe den Wächter der Seelen in dir wach. Ich habe drei Tage an deiner Seite verbracht. Drei Tage habe ich dir beim Schlafen zugesehen. Es hat zwei Nächte gebraucht, bis du dich von der Krähengestalt in den Menschen zurückverwandelt hast. Und das, obwohl ich dir alle deine Kraft geraubt hatte. Eigentlich hättest du dich sofort verwandeln müssen. Verstehst du, was ich meine, Hallenwächter? Es steckt mehr Leben und mehr Krähe in dir, als du selbst ahnst.«
    Rouven lag auf der Erde und hörte Jachaels Worte. Drei Tage war er ihm nicht von der Seite gewichen? Er hatte die Kapelle seit ihrer letzten Auseinandersetzung nicht

Weitere Kostenlose Bücher