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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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verlassen? Das ließ Rouven nun tatsächlich hoffen. Das und die Worte, die Jachael aussprach.
    »Nun komm endlich, Krähe«, schrie Jachael durch die Halle. »Stell dich mir mit deinen Kräften. Lass mich nicht gegen eine solch jämmerliche Menschengestalt antreten. Du warst es doch, der von einem fairen Kampf sprach. Also rappel dich endlich auf!«
    Rouven drehte sich zur Seite und stellte sich erst einmal auf alle viere. Er begann, seine Sinne zu sammeln. Er konzentrierte sich auf seine Mitte. Auf sein Inneres.
    Nur langsam erhob er sich auf die Beine. Er dachte an die Halle der Seelen, rief sich seine Erinnerungen ins Gedächtnis, an die unzähligen kleinen Kojen in den Hallenwänden. An die winzigen Seelen, die darin auf ihre Erfüllung warteten. Mit einem Mal spürte er ihre Verletzbarkeit. Ihre Zartheit und Verwundbarkeit. Im gleichen Moment fühlte er ihre Erwartungen, die sie an ihr Leben auf der Erde hatten, und ihre Freude, die sie empfanden. Er nahm ihre Gefühle in sich selbst wahr und das Vertrauen, das sie in ihn setzten.
    Rouven richtete sich auf. In seine Adern pochte es. Das Blut schoss ihm durch die Arterien. Seine Muskeln spannten sich, füllten sich mit Lebenskraft. Aus seinen Augen wich alle Farbe, bis seine Pupillen aus einem gleißenden, schimmernden Weiß bestanden.
    Endlich fühlte sich Rouven gewappnet. Jachael ebenbürtig. Nun hatte er seine Mitte gefunden. Sein eigentliches Ich.
    Er war bereit.
    Mit einer ihn selbst faszinierenden Ruhe richtete er sich auf. Er stellte sich Jachael gegenüber und sah ihn mit einem Blick an, der Jachael erneut ein breites Lächeln ins Gesicht zauberte. Allerdings kein ironisches Grinsen wie zuvor. Jachael schaute Rouven mit einer zufriedenen, selbstherrlichen Miene an, die verriet, dass er seinem Ziel ein Stück näher gekommen war.
    »Ah, willkommen zurück in unserer Welt«, stieß er befriedigt aus. »Endlich stehst du vor mir, wie ich dich erwartet habe. Als Wächter der Seelen und als   …«
    Rouven hatte genug gehört. Er konnte diese Stimme nicht mehr ertragen. Diese Stimme und alles, was mit ihr zusammenhing. In Rouven erwachte ein Drang. Ein Vorsatz. Er bestand nur noch aus einem einzigen Wunsch: Jachael zum Schweigen zu bringen.
    Und so startete er seinen Angriff. Allerdings stürmte er nicht auf Jachael los wie zuvor. Es war ein Gedanke. Ein innerer Impuls. Es war der Vorsatz, Jachael zu treffen. Und so stieß Rouven in weniger als dem Bruchteil einer Sekunde mit Jachael zusammen. Die beiden flogen quer durch die ganze Kapelle. Rouven drückte Jachael gegen die Wand mit einer solchen Wucht, dass der Putz Risse bekam, die vom Boden bis zur Decke reichten. Rouven war selbst überrascht von dieser Attacke. Mit einer solchen Wucht und Schnelligkeit, allein durch seine Gedankenkraft bewirkt, hatte er nicht gerechnet. Jachael schien recht zu haben: Es steckte mehr in ihm, als er selbst ahnte. Und das in einer Neumondnacht, in der er am leichtesten zu besiegen war. Wie viel Kraft steckte wohl in all den anderen Nächten in ihm?
    Jachaels Kopf steckte zur Hälfte in der Wand. Sein ganzer Körper hatte auf dem Putz einen tiefen Eindruck hinterlassen. Mit einem Ruck befreite er sich von Rouven, zog den Kopf aus der Wand und stellte sich breitbeinig auf. Trotz der blutenden Wunden an seinem Körper lachte er nur auf. »Endlich!« Dieses Wort kam fauchend aus ihm hervor, begleitet von dicken Rauchschwaden, die aus seinem Mund stiegen.
    Er drückte seinen Rücken durch. Und in dieser Bewegung schien er ein Stück zu wachsen. Er blähte seine Muskeln auf, spreizte die Finger so weit, dass sie laut knackten, und schnalzte genüsslich mit der Zunge.
    Rouven wich einen Schritt zurück. Er trug von seinem Angriff keinerlei Wunden davon. Jachael hatte den Stoß gegen die Wand für ihn abgefedert. Angewidert beobachtete er Jachaels Verwandlung. Er sah zu, wie Jachaels Stirn erneut die Ausbeulungen aufwies, aus denen sich in wenigen Augenblicken wieder die Stierhörner formten. Länger und spitzer, als Rouven sie bisher hatte ansehen müssen. Er sah Jachaels Gebiss anwachsen, wie sich die Eckzähne in messerlange Waffen verwandelten. Sah, wie Jachaels Körper in die Breite wuchs. Wie seine Muskeln anschwollen und seine Füße sich in Stierhufe verwandelten. Jachael trat einmal fest auf, und schon züngelten die bekannten Flammen aus seinen Hufen die Beine hinauf.
    Jachael schien aus purer Kraft und Stärke zu bestehen. Und als er schließlich seine rot leuchtenden

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