Sie
Feuer, das riesige Schatten an die umliegenden Wände warf. Vor diesem Feuer blieb Billali stehen, bat uns Platz zu nehmen und sagte, daß man uns gleich Nahrung bringen werde. So hockten wir uns denn auf die ausgebreiteten Felle nieder und warteten. Bald brachten einige junge Mädchen gekochtes Ziegenfleisch, geröstete Maiskolben und einen irdenen Topf mit frischer Milch. Wir waren halb verhungert, und ich habe wohl nie in meinem Leben mit solchem Genuß gegessen. Wir ließen nicht das geringste von den uns vorgesetzten Speisen übrig.
Als wir fertig waren, erhob sich Billali, unser Gastgeber, der uns wortlos zugesehen hatte, und hielt eine Art Begrüßungsrede. Ein Wunder, so sagte er, sei geschehen. Nie habe man gedacht, daß jemals weiße Fremdlinge in das Land der Felsenbewohner eindringen würden. Zuweilen, doch nur selten, seien schwarze Männer zu ihnen gekommen, welche ihnen berichtet hätten, daß es Weiße gebe, die mit Schiffen über das Meer führen, doch nie zuvor sei ein Weißer hier gewesen. Man habe nur beobachtet, wie wir das Boot den Kanal hinaufzogen, und er habe, wie er ganz offen sagte, uns bereits töten lassen wollen, da kein Fremder dieses Land betreten dürfe, doch ›Sie‹, die Herrscherin, habe befohlen, uns am Leben zu lassen und hierher zu bringen.
»Verzeih, mein Vater«, unterbrach ich ihn an dieser Stelle.
»›Sie‹, die Herrscherin, wohnt doch weit von hier entfernt, soviel mir bekannt ist. Woher wußte sie von unserer Ankunft?«
Billali wandte sich um, und als er sah, daß wir allein waren – Ustane hatte sich bei Beginn seiner Rede zurückgezogen –, sagte er mit einem seltsamen leisen Lachen:
»Gibt es in eurem Land denn niemand, der ohne Augen sehen und ohne Ohren hören kann? Fragt nicht – ›Sie‹ wußte es.«
Als ich darauf die Achseln zuckte, fügte er hinzu, er habe keine weiteren Anweisungen erhalten, was mit uns geschehen solle, und deshalb werde er jetzt ›Sie‹, die Herrscherin – die der Einfachheit halber hinfort ›Hiya‹ oder ›Sie‹ genannt werden soll und die, wie er uns zu verstehen gab, die Königin der Amahagger war – aufsuchen und nach ihren Wünschen fragen.
Als ich ihn fragte, wie lange er fortbleiben werde, sagte er, wenn er sich sehr beeile, könne er vielleicht in fünf Tagen zurück sein, denn um dorthin zu kommen, wo ›Sie‹ wohne, müsse er viele Meilen Sumpf durchqueren. Man werde jedoch während seiner Abwesenheit um unser Wohlergehen besorgt sein. Er hoffe, da er uns sympathisch finde, daß ›Sie‹ eine für uns günstige Entscheidung fällen werde, doch wolle er uns nicht verhehlen, daß er dies für sehr zweifelhaft halte, denn solange er lebe und auch zu Lebzeiten seiner Mutter und Großmutter sei noch jeder fremde Eindringling unbarmherzig getötet worden, und dies auf eine Weise, die er, um uns nicht zu beunruhigen, verschweigen wolle. Stets sei dies auf Befehl der Herrscherin selbst geschehen; zumindest habe sie nie etwas getan, um einen Fremden zu retten.
»Aber wie ist das möglich?« fragte ich. »Du bist ein alter Mann, und die Zeit, von der du sprichst, reicht drei Menschenleben zurück. Zur Zeit deiner Großmutter kann ›Sie‹ doch noch nicht gelebt haben. Wie also konnte sie damals jemanden töten lassen?«
Wieder antwortete er mit jenem seltsamen leisen Lächeln; dann zog er sich mit einer tiefen Verbeugung zurück, und erst fünf Tage später sahen wir ihn wieder.
Als er fort war, sprachen wir über unsere Lage, die mich mit starkem Unbehagen erfüllte. Was wir von dieser geheimnisvollen Königin ›Sie‹, welche offenbar unbarmherzig jeden Fremdling töten ließ, gehört hatten, gefiel mir gar nicht. Auch Leo war bedrückt, tröstete sich jedoch mit dem Gedanken, daß diese ›Sie‹ zweifellos die Person sei, von der auf der Scherbe und in dem Brief seines Vaters die Rede war. Billalis Anspielung auf ihr Alter und ihre Macht bewiesen das, meinte er. Ich selbst war von den Geschehnissen so überwältigt, daß ich keine Lust verspürte, diesen absurden Behauptungen entgegenzutreten; statt dessen schlug ich vor, hinauszugehen und, wenn möglich, ein Bad zu nehmen, das wir alle dringend nötig hatten.
Nachdem wir unseren Wunsch einem Mann mittleren Alters mit ungewöhnlich finsterer Miene, der offenbar beauftragt war, uns während Billalis Abwesenheit zu bedienen, mitgeteilt hatten, zündeten wir unsere Pfeifen an und verließen die Höhle. Draußen standen eine Menge Leute, die anscheinend auf unser
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