Sie haben sich aber gut gehalten!
Immobilienmakler sein, den dein Vater vorbeischicken wollte.»
«Ihr könnt es wohl gar nicht abwarten, das Haus endlich loszuwerden, was?», zischt er wütend.
Wortlos erhebe ich mich und gehe zur Tür.
Durch die Milchglasscheibe im oberen Teil der Haustür erahne ich einen männlichen Kopf. Wie war noch gleich der Name des Maklers?, versuche ich mich zu erinnern. Zu dumm, da habe ich Volker wohl mal wieder nicht richtig zugehört, als er mir letzte Woche den Namen und den Termin für die Hausbesichtigung durchgab. Ich weiß nur noch, dass der Mann ein Patient von Volker ist.
Beim Öffnen der Tür stutze ich einen Moment. Dann entfährt mir ein spitzer Schrei. «Johann Ansbach!»
Ist das zu fassen? Johann Ansbach, genannt John, der Schwarm aller Mädchen am Gymnasium – und meine große Liebe im letzten Schuljahr.
Damals trug er allerdings ausgewaschene, zerschlissene Jeans, Lederjacke, lange Haare und eine verspiegelte Pilotenbrille. Er gehörte eben zu den «bösen Buben», die Mädchen wie Zigaretten konsumierten und vor denen Väter ihre Töchter warnten – meiner ganz besonders vehement.
«Rosy? Rosy Wittgenstein?» John scheint nicht weniger überrascht zu sein. Wortlos starren wir uns an.
Heute reicht Johns Haar nicht mehr bis in den Nacken, sondern ist stoppelkurz geschnitten und schon recht grau. Mit der randlosen Brille, dem hellgrauen Anzug und der schwarzen Collegetasche aus Leder sieht er geradezu seriös aus. Nur seine grünbraunen Augen in dem markanten Gesicht mit der schiefen Nase strahlen genauso intensiv, wie ich sie in Erinnerung habe. Damals genügte ein Blick von John, und ich schmolz dahin.
«Was für ein Zufall!», sagt er dann erfreut. «Ich wusste gar nicht, dass du mit meinem Zahnarzt verheiratet bist.»
Und ich hätte niemals gedacht, dass John Karriere im Immobiliengeschäft machen und eines Tages im feinen Zwirn an meiner Tür klingeln würde.
Verlegen zupfe ich meine Stirnfransen zurecht. Heute Morgen war ich zu faul zum Haarewaschen und habe mein kinnlanges Gestrüpp einfach mit einem Stoffgummi im Nacken zusammengebunden. Aber wenn ich geahnt hätte, dass ich heute John Ansbach begegnen würde …
Vermutlich sehe ich in der ausgeleierten Hose und dem alten Shirt wie das wandelnde Klischee einer Vorstadtmami aus, die ihr Aussehen vernachlässigt, weil sich ohnehin keiner mehr dafür interessiert. Die überflüssigen Pfunde registrieren höchstens noch die Freundinnen.
«Äh, ich heiße tatsächlich wieder Wittgenstein», stammle ich und strecke ihm die Hand entgegen. «Ich bin seit gut einem Jahr geschieden.»
John drückt meine Hand länger, als es die Umgangsformen vorschreiben.
«Komm doch rein», bitte ich verlegen. «Volker hat dich ja angekündigt.»
«Tja, wenn ich geahnt hätte, dass ich
dich
hier treffe …», erklärt er und folgt mir durch den Flur ins Wohnzimmer.
«… dann wärst du lieber nicht gekommen», vollende ich den Satz. Dass er sich damals nach einem halben Jahr romantischer Liebesschwüre einfach nicht mehr gemeldet hat, scheint ihm offensichtlich entfallen zu sein.
Aber trotz dieser unschönen Erinnerung freue ich mich aufrichtig, John wiederzusehen. Auch wenn mir klar ist, dass ordentliche Kleidung und eine seriöse Brille aus einem Herzensbrecher noch lange keinen Biedermann machen.
«Oh, du hast Besuch», stellt John fest, als wir aus dem Wohnzimmer die Terrasse betreten.
«Das ist Charlie, mein ältester Sohn», entgegne ich und will die beiden gerade einander vorstellen, als Charlie plötzlich aufspringt.
«Ich muss jetzt weg. Hab einen Termin vergessen. Und du bist ja beschäftigt …»
Ohne weitere Erklärungen rauscht er ins Haus. Meine konsternierte Miene ignoriert er genauso wie Johns ausgestreckte Hand.
Was ist bloß in ihn gefahren?, frage ich mich zum wiederholten Mal und sehe ihm verwundert nach – um im nächsten Moment nervös zu werden. Das unverbesserliche Muttertier in mir ist erwacht.
«Mach es dir doch schon mal bequem», fordere ich John auf und sause dann meinem Sohn hinterher.
Ich nehme die Abkürzung durch den Garten und bin gerade am Gartentor angelangt, als Charlie seinen alten verbeulten Panda aufschließt.
Kopflos wie ein aufgescheuchtes Huhn überquere ich die Straße und kann in letzter Sekunde einem herankommenden Wagen ausweichen. Der Fahrer muss auf die Bremsen steigen und hupt wie verrückt. Wäre ich jung und knackig, würde der Mann jetzt besorgt aussteigen und sich erkundigen, ob es mir
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