"Sie koennen aber gut Deutsch!"
geworden, man könnte auch sagen: degradiert, war. Sie sagte: »Ist doch interessant, dass jetzt ich und Sie plötzlich ein Wir bilden, wo wir vor ein paar Wochen nichts miteinander zu tun gehabt hätten.« Sie ist Politologin, weshalb sie noch ein wenig von Milieus und Verschiebungseffekten
sprach, aber sie erzählte mir auch von ihrem 20-jährigen Cousin, der ihr ein Musikvideo des Rappers Blumio gezeigt hatte, der das Lied »Hey, Mr. Nazi« singt. Es heiÃt darin: »Hey Mr. Nazi, komm auf meine Party. Ich zeig dir meine Kultur« und an anderer Stelle: »Und Mann, ich will nicht nur Reis fressen, manchmal will ich auch eine Bockwurst in Senf.« Ihr deutsch-iranischer Cousin könne die â vielleicht etwas platt ausgedrückten â Gefühle des deutsch-japanischen Rappers sehr gut nachempfinden, erzählte Naika Foroutan. Ich hingegen konnte die ihren gut verstehen, wir hatten in einem Wir-Deutschland gelebt, das vor unseren Augen zu verschwinden begann.
Thilo Sarrazin hat ein Buch geschrieben. Er hat damit, ob nun berechtigt oder nicht, eine Debatte ausgelöst, deren Tonfall mich wiederum meiner Naivität beraubte. Seine Aussagen, die Probleme, die er aufzeigte, waren mir nicht neu gewesen, noch nicht einmal manche der Statistiken, mit denen er seine Thesen belegte. Aber die Art und die Heftigkeit, mit denen man darauf reagierte, offen (»man wird doch noch mal sagen dürfen«) und zwischen den Zeilen, hatten meine Ãberzeugung, in einem Wir-Deutschland zu leben, als naiv entlarvt. Ich, so wie ich bin, nicht mein bemüht deutsches Ich, schien hier plötzlich nicht besonders willkommen zu sein.
Man wird nicht nur sagen dürfen, sondern sogar sagen müssen, dass Deutschenfeindlichkeit genauso wenig geduldet werden darf wie Fremdenfeindlichkeit. Und man wird überlegen müssen, wie man diesem Phänomen zukünftig begegnet. Aber man darf diese Deutschenfeindlichkeit, die tatsächlich an manchen Schulen herrscht, nicht automatisch auf die meisten Muslime und das Gros der Migranten übertragen.
Arrogant wie ich bin, glaube ich nicht, dass es Deutschland guttut, Naika Foroutan, Youssef Bassal, Hasnain Kazim,
meine Freundin S., mich und so viele andere aus dem Wir-Deutschland zu vertreiben, und wenn es nur auf der Gefühlsebene ist. Denn â ich bin selbstbewusst genug zu sagen â wir haben Deutschland spannender, schöner, weil vielfältiger gemacht. Oder auf der gefühlsfreien wirtschaftlichen Ebene: produktiver.
Man hat mich â und wahrscheinlich noch viele andere â unseres Landes beraubt. Die Dramatik des Satzes ist mir durchaus bewusst, dass mich tatsächlich keiner aus diesem Land hinausbefördert, auch; und dennoch fühlt es sich so an. Wo gehöre ich jetzt hin?
Wird jetzt jemand sagen, ich sei doch gar nicht gemeint?
Ich fühle mich aber sehr gemeint.
Und dabei bin ich noch nicht einmal Muslimin.
Worst Case: Die Muslime
Wann hat es wieder begonnen? Wann war sie da, die Angst vor einer der drei groÃen Weltreligionen, die die Geschichte unserer Welt mit geprägt hat, auch unseren Kontinent, auch unser Land mit beeinflusst hat? Die groÃen deutschen Aufklärer wie Lessing und Goethe hatten ein groÃes Interesse am Islam, lieÃen sich in ihren Werken von seinen Lehren beeinflussen und hielten damit nicht hinterm Berg; Goethe schrieb:
Ob der Koran von Ewigkeit sei?
Darnach fragâ ich nicht ! â¦
Daà er das Buch der Bücher sei
Glaubâ ich aus Mosleminen-Pflicht.
Wann war sie also da, die Angst vor Menschen, die schon lange mit und unter uns leben, die sich als Teil unserer Gesellschaft, unseres Landes sehen, oder vielleicht muss man mittlerweile sagen: sahen? Ein Teil, der sich nicht in statistischen Zahlen zusammenfassen lässt, weil er so heterogen ist, das ist ja das Schöne daran. Dieser Teil, der aus Menschen besteht, denen ihre Religion etwas â was und in welchem MaÃe auch immer â bedeutet, die die Traditionen und Bräuche dieser Religion pflegen, aber genauso auch aus Menschen, die diese Kultur kennen, aber weniger pflegen, weiterhin aus Menschen, deren Eltern gläubige Moslems gewesen sein mögen, die aber selbst mit dem Glauben nichts anfangen können, sogar aus Menschen, die noch nicht einmal familiär etwas mit dem Islam zu tun haben, denen das aber nachgesagt wird, weil sie einen
bestimmten Namen tragen, weil
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