Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
rutschten mein Minikleid und ich auf dem so gut wie blanken Hintern quer durch den Tanzpalast. Natürlich ließ der Herr des Hauses, ein gelackter Enddreißiger, der an den Hüften bereits deutlich über die Ufer trat, es sich nicht nehmen, mir mit den Worten aufzuhelfen: »Na, das läuft ja schon wie geschmiert, hehehe.« Von seinen nach-folgenden Begrüßungs- und Einführungs-worten bekam ich selbstverständlich nichts mehr mit, denn mich quälte nur ein Gedanke: Was mach ich, wenn mich nach dem
Auftritt keiner mehr auffordert? Freitod?
Kloster? Nach gefühlten drei Stunden stand doch noch ein Junge vor mir. Er war groß, sehr groß, und genauso breit, und trug eine Brille mit derartig dicken Gläsern, dass ich mir vorkam wie unter der Lupe. Er führte mich sehr vorsichtig an einer sehr feuchten Hand auf die Tanzfläche. Der Mauerblüm-chenkelch war an mir vorbeigegangen, und 157
jetzt wollte ich mich dem Schicksal gegen-
über nicht undankbar erweisen. Auf das kasernentaugliche Kommando »Grundposi-tion«, hob ich meine Arme, als wolle ich mit Frankensteins Monster konkurrieren. Mein Partner riss mich an sich und legte seine Hand schraubstockartig um meine Taille, wozu er sich natürlich zu mir hinunterbeu-gen musste, was meine Wirbelsäule in eine Position brachte, die jeden Orthopäden zum Einschreiten bewogen hätte. Wir verfehlten unsere Füße nur selten bei dem Versuch, die gebrüllte Anweisung »Vor-Rück-Seit-Schritt« in adäquate Schrittfolgen umzuset-zen. Ein Blick in die Runde bestätigte meinen Eindruck, dass man sich zu zweit offensichtlich beim Tanzen behindert. Erschwe-rend kam hinzu, dass wir bis auf die letzten 10 Minuten trocken, d. h. ohne Musik tanzen mussten. Das erscheint mir heute so sinnig wie das Schwimmenlernen ohne
Wasser. Auf dem Heimweg überlegte ich, wie ich meiner Familie das Auswandern schmackhaft machen könnte, zumindest
aber den Abbruch der Tanzschule.
Tapfer ging ich in der folgenden Woche wieder in dieses Horrorkabinett, aber ich fiel schon wieder, diesmal aus allen Wolken, weil ich öffentlich von diesem affektierten Tanzfuzzy mit Doppelnamen dafür gerügt wurde, dass ich beim Tanzen geredet und gelacht hatte. Das Wort lustfeindlich sollte erst viele Jahre später in den Sprachgebrauch übergehen, aber ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich es damals vermiss-te. Deshalb ging ich am dritten Donnerstag 158
anstatt zum Tanzdrill in die neu eröffnete Discothek in unserer Stadt. Der Unterschied zu Herrn Foxtrottels Hampelbude konnte nicht größer sein. Die Musik war hervorragend und laut, das Licht irre, und ich stellte fasziniert fest, dass die Gäste nicht nur Spaß am Tanzen zu haben schienen, sondern auch aneinander. Zu allem Überfluss forderte mich ein gar nicht übler Bursche auf, der Discjockey kündigte Pata Pata an – sowas vergisst man nicht – und schon war’s um mich geschehen. Das Tanzen war einfach, man brauchte den Rhythmus nur in den Hüften zu spiegeln, und es machte mich an, wie er mich anmachte, auch anfasste, wie er mir zwischen zwei Schiebern Rock ‘n’ Roll bei-brachte, mich sehr viel später nach Hause begleitete und vor allem, wie er mich zum Abschied küsste. Von da ab verbrachte ich jeden Donnerstag in der Disco, lernte sehr viel mehr als meine Klassenkameradinnen in der Tanzkaserne und prägte damals den Spruch, den IKEA Jahrzehnte später einmal leicht abgewandelt übernehmen sollte: Gehst du noch zur Tanzstunde oder lebst du schon?
ER Tanzen
Tanzen ist Travolta. Zuletzt wieder in »Be cool« mit Uma Thurman. Gnadenlos gut, zeitlos geil. Tanzen ist auch Patrick Swayze in Dirty dancing. Fred Astaire ist sehr lang her, an Josefine Baker kann nicht mal ich mich mehr erinnern, Flamenco ist mir zu theatralisch, Shakira ist auch schön, und na-159
türlich Kylie Minogue mit ihrem allerersten Hit, dem Little-Eva-Cover »Locomotion«, da hatte sie einen Hüftschwung, der mich ummachte. Also gut, es gibt etliche Hinguk-ker unter dem Stichwort Tanzen, aber es sind in jedem Falle die anderen.
Mich selber hat der Schöpfer offensichtlich eher für den Schreibtisch geplant denn für den Tanzboden. Allerdings kollidierte in diesem Punkt meine Gymnasiallaufbahn mit dem Schöpfungsplan, denn zwischen Unter-sekunda und Obersekunda, wie das damals hieß, also zwischen 10. und 11. Klasse be-suchte man als Zögling des traditionsreichen, will sagen erzkatholischen und noch eherneren konservativen Aachener Kaiser-Karl-Gymnasiums die Tanzschule,
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