Grenzgänger
Kapitel 1
Verdammt! Ich starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen. Es regnete und die abgenutzten Scheibenwischer meines kleinen Golfs quietschten über das Glas, ohne mir auch nur einen Deut bessere Sicht zu verschaffen. Stattdessen verteilten sie das Wasser sorgfältig zu Schlieren, so dass ich die Augen zusammenkneifen musste, wie ein kurzsichtiger Maulwurf.
Vor mir blitzten rote und gelbe Pünktchen auf, wenn die Autos zwei Zentimeter weiterfahren durften und dann doch wieder bremsen mussten, weil der Vordermann es vormachte.
Ich ließ die Stirn gegen das Lenkrad sinken. In zehn Minuten hatte ich ein Vorstellungsgespräch und bis jetzt auf der Autobahn nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter mich gebracht.
Am liebsten hätte ich einfach die Rückbank zurückgeklappt und noch ein paar Stunden Schlaf nachgeholt. Seit einiger Zeit schlief ich schlecht, und meine Augenringe wurden immer dunkler. Direkt an meiner Schlafzimmerwand, an der das Kopfende meines Bettes stand, klopfte etwas. Und zwar regelmäßig, unermüdlich, jede Nacht.
Ich wohnte noch nicht lange in meiner Wohnung und anfangs hatte ich mich noch gewundert, ob eventuell etwas hinter der Wand war, den Gedanken aber schnell wieder verworfen, als mir einfiel, dass es sich dabei um eine Außenwand handelte. Als sich das Geräusch mit kaum hörbarem Kratzen abwechselte, tippte ich auf Ratten und informierte den Hausmeister. Der kam, klopfte einige Male an die Wand und meinte, da wäre nichts. Der gleichen Meinung war die Hausverwaltung.
Also tat niemand etwas dagegen – und ich verlor weiterhin kostbare Stunden Schlaf. Dieses Klopfen und Kratzen war nervtötender als jeder tropfende Wasserhahn.
Hinter mir hupte es, aber ich hielt nur meinen ausgestreckten Mittelfinger in den Rückspiegel; hob dafür nicht einmal den Kopf.
Der Wagen vor mir fuhr wieder an und das Geräusch veranlasste mich dazu, meinen Wagen ebenfalls weiter vor zu setzen. Ganze zehn Zentimeter. Mist!
Mein Blick wanderte zum Armaturenbrett. In der Hoffnung, die Uhr ignorieren zu können, nahm ich die Visitenkarte, die ich auf das Armaturenbrett gelegt hatte. »Triskelion« stand in schlichter Schrift darauf geschrieben. »Mittler ihres Vertrauens«. Auf der Rückseite hatte jemand mit krakeliger Schrift und klecksender Tinte geschrieben: »Sehr nette Leute – lächeln, Feline!«
Sowohl Schrift als auch Tinte gehörten meiner Mutter. Feline war ich. Genauer gesagt, Feline Alana Rot. Zwei Namen und nicht einer ist darunter, der mich davor bewahrte, bei der ersten Vorstellung mit dummen Fragen überhäuft zu werden. Aber es ist ebenso typisch für meine Mutter, mir einen derartigen Namen zu verpassen, wie auch die Angewohnheit, nur mit einem angespitzten Gänsekiel und selbst angerührter Tinte zu schreiben. Ein Überbleibsel aus den siebziger Jahren, in denen sie als selbst ausgewiesenes Kind der Natur einen zu engen Kontakt zu diversen Kräutergeschwistern hatte. Vornehmlich jenen, die einen für ein paar Stunden selig schlummernd ins Land der Träume verfrachteten.
Ich seufzte und steckte die Karte zurück.
Sie meinte es doch nur gut
, erklang mein ewig bereites Gewissen, als ich mich verfluchte, auf dieses von meiner Mutter vermittelte Vorstellungsgespräch eingegangen zu sein.
Ja
, knurrte ich in Gedanken zurück und hätte fast verpasst, dass der Abstand zu meinem Vordermann mittlerweile auf erstaunliche zwanzig Zentimeter angewachsen war. Wenn das so weiterginge, könnte ich tatsächlich noch vor Mitternacht ankommen. »Es ist manchmal einfach zu viel«, flüsterte ich meinem Gewissen zu.
Ich schaltete den Motor aus. Dieses Auto würde ich erst wieder bewegen, wenn ich mindestens einen Meter vom Fleck kam. Während ich darauf wartete, wanderten meine Gedanken wieder zu diesem Gespräch. Es ging um einen Job als Assistentin, hatte meine Mutter gesagt. Eine Art studentische Hilfskraft, nur besser bezahlt.
Ich war seit etwa zwei Monaten arbeitslos, nach meiner Kündigung. Unschöne Geschichte. Mein Chef und ich, wir hatten ein zu gutes Verhältnis. So gut, dass er mich mit in den Urlaub nahm und wir mehr als nur einmal »geschäftlich« in irgendwelchen Hotels abstiegen, wo wir Dinge taten, vor denen man mich in der BRAVO immer gewarnt hat.
Ich verliebte mich – er nicht. Als ich ihn darauf ansprach, erwähnte er das erste Mal Frau und Kind.
Ich kann nicht behaupten, dass ich ein unemotionaler Mensch bin. Nachdem ich ihn vor der gesamten Belegschaft einen
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