Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
Unverschämtheit einem Menschen gegen-
über, der im Dienste einer großen Sache das eigene Wohlbefinden hintanstellt. Denn der Nörgler will nichts Geringeres als die Welt verbessern. Zugegeben: Don Quichottes An-rennen gegen die Windmühlen war dagegen ein aussichtsreiches Unterfangen.
Die Neuropsychologie lehrt, dass das Hirn alles daransetzt, dass wir uns unabhängig davon, wie objektiv ungünstig die äußeren Umstände sein mögen, 75% unserer Zeit annähernd gut fühlen. Der Nörgler fühlt sich 19
immer schlecht angesichts der Blödheit, mit der er ständig konfrontiert wird. Ein Beispiel:
Der Nörgler betritt eine Bäckerei, er hat es eilig, denn viele Missstände auf der Welt wollen angeprangert werden. Die etwas überkandidelte Bäckereifachverkäuferin flö-
tet: Ist das nicht ein herrlicher Tag heute?
Der Nörgler: »Ja, draußen vielleicht, aber ich bin hier drin und werde zugetextet. Geben Sie mir 3 Brötchen, sobald Ihr Mittei-lungsdrang gestillt ist.« Analysieren wir die Situation. Die Verkäuferin denkt zunächst: So ein blödes Arschloch; aber irgendwann wird die Botschaft auch bei ihr angekommen sein, dass Menschen nicht immer bereit sind, Belanglosigkeiten auszutauschen, sondern dass das Wetter auch mal unkommentiert bleiben muss, wenn vielbeschäftigte Kundschaft kommt. Der Nörgler verlässt seinerseits den Laden in eher gedrückter Stimmung – es wäre ihm ein Leichtes gewesen, auf das dumme Geplapper einzugehen und sich die Frau womöglich noch hörig zu reden, kein Problem, aber das ist nicht im Sinne seiner selbstgewählten Aufgabe.
Und so tritt er auch der Politesse uner-schrocken entgegen, die ihm gerade wegen Überziehens der Parkdauer ein Knöllchen schreibt. Er sagt: Ich habe das Land, auf dem mein Wagen steht, um sage und schreibe 4 Minuten länger genutzt, als ich es ge-mietet habe, und kriege einen Bußgeldbe-scheid über 30 Euro. Das ist nicht in Ordnung. Über einen Euro können wir reden, aber 30 Euro bedeuten eine Mieterhöhung 20
um 2900%. Das gibt es in anderen Lebens-bereichen ja auch nicht. Wenn Sie eine Wohnung für 850 Euro Miete haben und Sie geraten mit der Mietzahlung einen Tag in Rückstand, bekommen Sie auch keine
Rechnung über 24650 Euro.
Die Politesse weiß natürlich, dass der Nörgler Recht hat, aber statt zu sagen: Ich habe noch nie einen Mann getroffen, der so brillant argumentierte, darf ich den Bußgeldbe-scheid zerreißen oder wollen Sie es selber machen und dann vielleicht heute Abend mit meinem Slip ebenso verfahren? Das wäre der Schritt in Richtung bessere Welt, der jedem Nörgler vorschwebt, aber nein – sie glaubt, staatstragend werden zu müssen, und sagt, Stimme und Zeigefinger erhoben: Der Staat braucht das Geld für die Feuerwehr, für die Polizei, für die Schulen, Moment, wirft der Nörgler ein, Sie brauchen das Geld von den Falschparkern für die Schulen? Ich sehe den Zusammenhang nicht. Wieso ist die Qualität der Schulausbildung eines Kindes abhängig von der Unfähigkeit seiner Eltern, korrekt zu parken? Heißt das, ich muss mich, wenn die Schule meines Sohnes eine neue Turnhalle braucht, 5 Tage ins absolute Halteverbot stellen?
Das Luzide dieser Argumentation bleibt der Hilfspolizistin in Gänze verborgen, der Nörgler wird, wie so oft, alles seinem An-walt übergeben, übrigens sein einziger Freund. Er wird auf Geschäftsreise gehen und, als er sein Hotelbett spätabends beim Heimkommen aufgeschlagen vorfindet, den Nachtportier in folgendes Gespräch verwik-21
keln: Sagen Sie, ich habe gerade mein Zimmer betreten und die Bettdecke war zurück-geschlagen. Ist das nur in meinem Zimmer oder wird das bei jedem Gast gemacht?
Trauen Sie Ihren Gästen nicht zu, dass sie das alleine hinkriegen, oder hat mal eines Abends jemand an der Rezeption angerufen und gesagt: Guten Abend, mein Name ist Steguweit, ich weiß nicht, wie ich in mein Bett kommen soll, bitte schicken Sie jemanden rauf, ich will nicht wieder in der Bade-wanne schlafen? Anschließend wird der Nörgler noch die Qualität des Bezahlpornos beklagen, ebenso die Preise der Minibar, und wie üblich schlecht schlafen. Nein, dieser Widerstandskämpfer gegen all das
Dumme, Eingefahrene, Unreflektierte im Alltag sollte nicht länger mit einem so negativ besetzten Wort bezeichnet werden; ich werde ihn von Stund an nach seinem
Schutzheiligen benennen, wenn es denn in der Philosophie so etwas gibt, nach einem Denker, den das ganze Abendland verehrt, dem größten Nörgler aller
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