Sieben
in ihm aufwallende Ekelwoge nieder und wollte gerade einen forschenden Finger in die Flüssigkeit schieben, als sich etwas unter ihrer Oberfläche mit einem feuchten
Gluck zu
regen begann. Etwas, das nicht träge war. Die Schale begann zu vibrieren, ihre Kanten auf dem Tisch erzeugten ein hohes, glasiges Summen. Nun ja, dachte er, darum können wir uns später noch kümmern. Er zog sich zurück.
Jetzt vernahm er leise Stimmen aus dem Raum hinter der Tür, die sich genau vor ihm befand, rhythmisch, fast musikalisch, in Übereinstimmung mit der vielleicht für sie verantwortlichen Vibration. Es war kein Lied, eher so etwas wie ein Singsang aus unverständlichen Worten ...
Die Tür rechts von ihm ging auf. Da stand der Junge, den er schon zuvor gesehen hatte und schaute ihn an. Er schien nicht überrascht zu sein.
»Ich bin wegen der Seance hier«, sagte Doyle.
Der Junge runzelte die Stirn, prüfte ihn auf mysteriöse Weise. Er war älter, als Doyle ursprünglich geschätzt hatte, und ungewöhnlich klein für sein Alter. Er war viel älter. Sein Gesicht war schmutzig. Er hatte eine Kappe über die Ohren gezogen, doch sie und der Dreck konnten die Falten auf seiner Stirn und an den Schläfen nicht ganz verbergen. Er hatte eine Menge Falten. Und sein entnervender Blick war nicht im geringsten kindlich.
»Lady Nicholson erwartet mich«, fügte Doyle gebieterisch hinzu.
Hinter den Augen des Jungen wurden Berechnungen angestellt. Plötzlich wurde sein Blick beunruhigend leer im Sinne von leergeräumt. Doyle wartete ganze zehn Sekunden, rechnete fast damit, daß der Junge gleich lang hinschlagen würde vielleicht aufgrund eines epileptischen Anfalls -, und wollte ihn schon anfassen, als seine Geistesgegenwart schlagartig zurückkehrte. Er öffnete die Tür, machte eine steife Verbeugung und winkte Doyle hinein. Ein Epileptiker, eindeutig oft mißhandelt, Wachstum aufgrund mangelnder Ernährung verkümmert, möglicherweise taubstumm. Die Straßen im East End sind die Heimstatt von Legionen dieser Verlorenen, dachte Doyle unsentimental. Man kauft und verkauft sie für weniger Geld, als ich in der Tasche habe.
Er ging an dem Jungen vorbei ins Wohnzimmer. Der Singsang kam näher, drang durch die genau vor ihm liegende Schiebetür zu ihm. Hinter Doyle fiel die Tür ins Schloß, der Junge war verschwunden. Der Arzt wandte sich leise der Schiebetür zu, da verstummten die Stimmen; lediglich das gedämpfte Zischen der Gasdüsen war noch zu vernehmen.
Die Tür glitt auf. Der Junge stand nun direkt vor ihm und winkte ihn herein. Hinter seinem Rücken, in einem überraschend geräumigen Zimmer, war die Seance bereits in vollem Gange.
Die Geschichte der neuzeitlichen Spiritistenbewegung begann mit einem Betrug. Am 31. März 1848 vernahm man im Heim der Familie Fox, einer ganz normalen Familie aus Hydesville, New York, geheimnisvolle pochende Geräusche. Sie traten monatelang und immer nur dann auf, wenn die beiden heranwachsenden Töchter sich zusammen im gleichen Zimmer aufhielten. In den darauffolgenden Jahren funktionierten die Fox-Schwestern die daraus resultierende landesweite Hysterie zu einer blühenden Landhaus-Industrie um: Bücher, öffentliche Seancen, Vortragsreisen und Plaudereien mit den gefeierten Persönlichkeiten ihrer Zeit. Erst auf dem Sterbebett gestand Margaret Fox ein, daß das Geheimnis ihres Unternehmens lediglich in einer ausgetüftelten Serie gewöhnlicher Zaubertricks bestanden hatte, doch da war es schon zu spät, um die
vox populi,
die nach echten übernatürlichen Erlebnissen hungerte, zum Schweigen zu bringen. Die Behauptung der Wissenschaft, die überholten Lehren des Christentums könnten ihr nicht das Wasser reichen, hatte ein Treibbeet erzeugt, in dem der Spiritismus wie ein wildes Nachtschattengewächs gedieh und Wurzeln schlug.
Das eingestandene Ziel der Bewegung: die Existenz von Bereichen zu beweisen, die jenseits des Physischen liegen - durch direkte Verständigung mit der Geistwelt über Medien beziehungsweise über sogenannte
Empfängliche;
Individuen also, die auf die höheren Frequenzen körperloser Existenz eingestellt sind. Wenn ein Medium diese Fähigkeit an sich entdeckt und entwickelt hatte, nahm es stets eine »Beziehung« zu einem Geistführer auf, der als Gesprächspartner eines kosmischen Fundbüros fungierte: Da die meisten, die zu einem Medium Kontakt aufnahmen, in der Regel Hinterbliebene kürzlich Verstorbener waren, wollten diese kaum mehr in Erfahrung bringen als die
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