Sieben Jahre Sehnsucht
Prolog
Der Anblick von athletisch gebauten Männern, die miteinander rangen, hatte etwas ungemein Faszinierendes an sich. Durch die unverhüllte Aggression und Härte wurden ihre niederen, animalischen Wesenszüge offenbar, und ihre kämpfenden Körper verströmten eine Kraft, die die primitivsten Instinkte einer Frau wachriefen.
Lady Jessica Sheffield war dagegen nicht gefeit, wie es sich für eine wohlerzogene Dame geziemt hätte.
Gebannt blickte sie zu den beiden jungen Männern hinüber, die auf dem Rasen am gegenüberliegenden Ufer des schmalen, flachen Teichs ausgelassen miteinander rangen. Der eine Mann würde bald ihr Schwager sein; der andere war sein Freund, ein leichtfertiger Taugenichts, der dank seines unverschämt guten Aussehens auf mehr Nachsicht stieß, als er in Wahrheit verdiente.
»Ich würde auch gern so herumtollen«, seufzte ihre Schwester Hester, die neben ihr im Schatten einer alten Eiche saß und unverhohlen zu den beiden Männern hinüberstarrte. Eine sanfte Brise wehte über die Grashalme des Rasens, der sich durch die Parklandschaft bis hin zum prachtvollen Pennington-Herrenhaus erstreckte. Das Anwesen lag geschützt am Fuß eines bewaldeten Hügels und strahlte mit der bronzefarbenen Steinfassade und den vergoldeten Fensterrahmen, in denen sich die Sonnenstrahlen fingen, eine heitere Ruhe aus.
Jess wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Handarbeit zu. Es widerstrebte ihr, die zwei Jahre jüngere Hester wegen ihres ungebührlichen Starrens zurechtzuweisen, da sie selbst des gleichen Vergehens schuldig war. »Mit solch wilden Spielen ist es für Frauen nach der Kindheit vorbei. Wir sollten lieber nicht nach etwas verlangen, das unerreichbar ist.«
»Warum dürfen Männer ihr Leben lang Jungen bleiben, während wir Frauen schon in jungen Jahren erwachsen sein müssen?«
»Die Welt wurde für Männer erschaffen«, sagte Jess leise.
Unter der breiten Krempe ihres Strohhuts blickte sie wieder verstohlen zu den beiden Ringkämpfern hinüber. Plötzlich ertönte ein herrisches Kommando; die Männer hielten mitten in der Bewegung inne, und Jess erstarrte. Alle Köpfe drehten sich in dieselbe Richtung. Als sie ihren Verlobten erspähte, der sich den beiden Männern näherte, legte sich ihre Anspannung nach und nach, so wie sich das Meer nach einer aufbrandenden Welle wieder zurückzieht. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie jemals diese Schreckstarre loswerden würde, die sie bei jeder auftretenden Disharmonie überfiel, oder ob sie zu sehr darauf gedrillt war, den Zorn eines Mannes zu fürchten, um jemals davon frei zu sein.
Hochgewachsen und elegant gekleidet schritt Benedict Reginald Sinclair, Viscount Tarley und zukünftiger Earl of Pennington, über den Rasen mit der Zielstrebigkeit eines Mannes, der sich seines Prestiges bewusst war. Für Jess war diese tief verwurzelte aristokratische Arroganz beruhigend und beunruhigend zugleich. Manchen Männern genügte es, um ihre Autorität zu wissen, wohingegen andere das Verlangen verspürten, ihre Macht willkürlich zu demonstrieren.
»Und welchen Beitrag sollen Frauen für die Welt leisten?«, fragte Hester mit einer trotzigen Schnute, die sie jünger als ihre sechzehn Jahre aussehen ließ. Mit einer ungeduldigen Bewegung strich sie eine goldblonde Locke zurück, die genau denselben Farbton wie Jessicas Haar hatte. »Den Männern dienen?«
»Sie erschaffen«, antwortete ihre Schwester, während sie Tarleys kurzes Winken erwiderte. Morgen würden sie im Beisein von sorgfältig ausgewählten hochrangigen Gästen in der Familienkapelle der Sinclairs getraut werden. Jess fieberte dem Tag aus verschiedenen Gründen entgegen, nicht zuletzt deshalb, weil s ie dann nicht mehr den plötzlichen und grundlosen Wutanfällen ihres Vaters ausgeliefert wäre. Sie verübelte es dem Marquis of Hadley nicht, dass er auf gesellschaftliches Ansehen und Jess’ Pflicht, dieses zu sichern, großen Wert legte. Dies war sein gutes Recht. Doch sie verurteilte die Härte, mit der er auf ihre Fehler und Unzulänglichkeiten reagierte.
Hester stieß einen Laut aus, der verdächtig nach einem abfälligen Schnauben klang. »Das sind die Worte unseres Vaters.«
»Und die allgemein herrschende Weltanschauung. Wer wüsste das besser als wir?« Ihrer beider Mutter hatten die vergeblichen Bemühungen, einen Erben und Stammhalter zu gebären, das Leben gekostet. Hadley hatte eine neue Gattin genommen und eine weitere Tochter hinnehmen müssen, bis endlich vor
Weitere Kostenlose Bücher