Sieben Leben
sagte ich.
"Zweiundvier..., ähm..., Zweiund..., ähm..."
"Was jetzt?!"
Ich rieb mir die Augen. Da hatte sich der Bursche aber
wirklich gut gehalten. Mußte die viele frische Luft sein.
"Zweiundsechzig", gab ich zu.
"Sagten Sie nicht..."
"Der Mann hat eben Erfahrung", bügelte ich den
Einwand zur Seite. Ich hatte keine Lust, mich vorführen zu lassen. "Ich
dachte, das wäre ein wichtiges Kriterium?!"
"Schon richtig", lenkte Meierfeld ein. "Was
genau hat er denn bis heute gemacht?"
"Der Mann hat jede Menge Vorhaben geleitet. Kleine,
mittlere, große. War schon in Deutschland, in den USA, überall. Er hat..."
"Ich meine", unterbrach Meierfeld, "was genau hat er als Letztes gemacht?! Ich
meine sein letztes Projekt." Schon wieder dieser Unterton.
"Mich interessiert vor allem, mit welcher Technologie
er zuletzt zu tun hatte. Es ist nämlich so, dass wir eine ganze Menge an Know
How brauchen. Wir wollen eine der modernsten Hybrid-Anlagen der Welt errichten.
Was also hat er zuletzt gebaut?!"
Ich schnappte mir nochmal die Unterlage. Meierfeld wollte es
genau wissen, gut, das konnte er haben. Literatur war mein Hobby, nicht nur das
Schreiben, sondern auch das Lesen, und wenn es sein mußte, war ich ein
begnadeter Querleser. Den Zauberberg hatte ich an einem Abend quergelesen.
"Da haben wir's doch schon: Eine Pyramide!"
"Eine was ...?!"
"Eine Pyramide." Ich hörte, was ich sagte und
konnte es selbst kaum glauben. Das war die Sache mit dem Querlesen, wenn man es
laut machte. Wenn man gut war, marschierten die Informationen aus dem visuellen
Zentrum direkt runter zu den Stimmbändern, ohne störende Zwischenverarbeitung
im Cortex, und ehe man es sich versah, hatten die Worte den Mund verlassen und
bereisten unwiderbringlich als Schallwellen den Äther.
Da stand es schwarz auf weiß: Eine Pyramide. Für das
jordanische Königshaus. Bauzeit fünfzehn Jahre, 10.000 Arbeiter. Und nur 47
Todesfälle während der gesamten Laufzeit. Es war extra im Zeugnis
hervorgehoben. Positiv hervorgehoben.
"47 Todesfälle??" echote Meierfeld.
Mist, ich schien noch immer laut vorzulesen.
"Muß an dem kooperativen Führungsstil liegen",
murmelte ich. "Ein echter Teamplayer".
"Sagen Sie mal, Aschberg, haben Sie eigentlich völlig
den Verstand verloren?"
Mir wurde heiß und kalt. Da hatte ich mir extra die
Personalabteilung ausgesucht. Ein Traumjob eigentlich. Man bekam fast alles
mit, was so lief in der Firma, ohne dass man selbst die operative Last des
Tagesgeschäfts schultern mußte. Das war für jemanden Ende Zwanzig doch perfekt.
Auch wenn ich von Personalarbeit noch wenig Ahnung hatte, es schien mir eine lösbare
Aufgabe und ich war ja auch bereit dazuzulernen, sollte es denn nötig sein.
Und jetzt dieser Alptraum.
„Meinen Sie, wir sollten uns diesen Abu del Sarif nicht doch
noch einmal anschauen“, versuchte ich zu retten, was zu retten war.
„Sind Sie wahnsinnig? Ich will nichts mehr hören von diesem
Imhotep der Neuzeit“, schäumte Meierfeld.
„47 Todesfälle!! Ich will, dass der Mann noch heute eine
Absage bekommt!“
„Glauben Sie, das
kriegen Sie hin?“, wollte Meierfeld mit beißender Stimme wissen.
„Ich…“
„Und sehen Sie zu, dass Sie das ganze Thema an jemanden übergeben,
der einen Opferaltar von einem Tesla-Generator unterscheiden kann!“
„Ich…“
„Und dann überlegen Sie mal, wie Sie sich eigentlich Ihre weitere Zukunft so vorstellen? Bei
Ihrem Händchen sollten Sie sich vielleicht als Outplacement-Berater versuchen?
Aber bitte nicht bei uns, wenn‘s geht!“
„Jeder kann doch mal…“
„Ich habe jetzt Dr. Wagner für Sie in der Leitung“,
schaltete sich plötzlich ohne Vorwarnung Meierfelds Drache in das laufende
Gespräch ein. Meierfeld hatte ihr wohl parallel einen Wink gegeben.
„Ich werde sofort alles Nötige…“, setzte ich an.
Aber die Leitung war bereits tot. Meierfeld war
offensichtlich in Eile. Und vielleicht nicht ganz hundertprozentig zufrieden
mit der aktuellen Entwicklung in Sachen Projektleiter. Es stand zu befürchten,
dass er mich nicht im besten Licht erscheinen lassen würde, wenn er das weitere
Vorgehen mit Dr. Wagner besprach.“
Wagner war Meierfelds Kollege im Vorstand. Er leitete das
Personalressort und war mein Chef.
Ich hatte das Gefühl, dass mir auch ein Triple-A nicht
weiterhelfen würde, diese Delle in der Karriereleiter so schnell wieder
auszubügeln.
Und ich sollte Recht behalten.
Leben Nr. 3: Wiedersehen macht Freude
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