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Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Titel: Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Rippenkäfig war zusammengesunken, aber noch immer ließ sich der genaue Umriss des Leichnams ausmachen. Die Gebeine des Barons lagen noch genauso da, wie die verschreckten Giebelsteiner sie vor fast 200 Jahren zurückgelassen hatten.
    Jene Teile der Wände, die sich im Kerzenschein erkennen ließen, waren mit Regalen und Schränken bestückt. In den Fächern lagen Bücher, die Überreste von Schriftrollen und alchimistische Gerätschaften. Glaskolben, Tiegel und bizarre Versuchsanordnungen waren unter einer dicken Staubschicht begraben.
    An einer Wand gähnte die Öffnung eines gigantischen Kamins, größer noch als jener in der Bibliothek. Bei seinem Anblick wurde den beiden schlagartig klar, wie die Brut des Dämons in den Keller gelangt war.
    Sie stiegen gerade die Stufen zum Boden der Hexenküche hinab, als Nils abrupt stehen blieb.
    »Hörst du das?«, fragte er flüsternd.
    Auch Kyra verharrte. »Was denn?«
    »Da!«
    Ja, er hatte Recht. Da war etwas. Ein fernes Rumpeln und Poltern, das rasch näher kam.
    »O nein!«, entfuhr es Kyra. Beider Blicke richteten sich ahnungsvoll auf den Kamin.
    Kyra gab sich einen Ruck. Sie nahm Nils den Leuchter aus der Hand und sprang mit weiten Sätzen die Stufen hinunter.
    »Wir müssen abhauen!«, rief Nils ihr hinterher.
    Kyra erreichte den Boden. »Wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt einfach aufzugeben.«
    Nils gestikulierte fassungslos mit den Armen. »Wir haben seine Jungen verbrannt! Er wird nicht besonders gut auf uns zu sprechen sein.«
     

»Das trifft sich gut. Ich bin nämlich auch nicht allzu gut auf ihn zu sprechen.«
    »Das wird ihn sicher mächtig beeindrucken.«
    Kyra schaute zum Kamin. Ruß rieselte wie schwarzer Regen von oben herab.
    Nils wippte aufgebracht von einem Fuß auf den anderen, raufte sich das Haar und fluchte wie ein Kesselflicker. Schließlich aber überwand er sich und trat neben Kyra.
    Sie betrat das Pentagramm und ging neben Moorsteins Gerippe in die Hocke. Ihre Fingerspitzen berührten den blanken Schädel.
    Nils blieb stehen. »Du wirst dir noch die Krätze holen.«
    »Tuberkulose.«
    »Was?«
    »Vom Leichenanfassen kriegt man keine Krätze, sondern Tuberkulose … das heißt, wenn man Pech hat.«
    Das Poltern wurde lauter. Ein hasserfülltes Kreischen mischte sich darunter.
    Nils’ Augen weiteten sich. »Glaubst du wirklich, das spielt noch eine Rolle?«
    Eine Rußwolke schoss aus dem Kamin und hüllte die Kinder in Schwärze.

Im Dunkeln
    Oben auf dem Dach. Drei Minuten zuvor.
    Lisa und Chris klammerten sich aneinander.
    Der Dämon stand hoch über ihnen. Er wirkte jetzt noch größer und eindrucksvoller. Mit seinen ausgebreiteten Federschwingen sah er aus wie ein schwarzer Engel.
    Lisa konnte nicht anders: Sie schaute geradewegs in die Augen der Kreatur, in diese weißen, grundlosen Schlünde, in denen so viel Verschlagenheit, so viel Böses zu Hause war. Ganz gleich, was ihr in den nächsten Sekunden bevorstehen mochte, nichts konnte schlimmer sein als dieser Blick. Immer wieder schoben sich durchsichtige Nickhäute vor die Augäpfel des Wesens, verliehen ihnen den Anschein eines tückischen Blinzelns.
    Ein Kreischen ertönte.
    Lisa brauchte einige Herzschläge, ehe ihr klar wurde, dass es nicht aus dem Schnabel des Dämons kam.
    Der Schädel der Kreatur fuhr herum, ihr Blick fächerte über das Dach. Die gewaltigen Schwingen schlugen auf und zu. Hatte der Dämon eben noch Triumph ausgestrahlt, so wirkte er jetzt aufgeregt, fast besorgt.
    Chris’ Händedruck wurde fester. »Was ist los?«, fragte er tonlos.
    »Woher soll ich das wissen?«, gab Lisa zurück. Ihre Stimme klang wie die einer Fremden, heiser und belegt.
    Das Kreischen wiederholte sich. Diesmal hielt es länger an.
    Der Teufelsstorch winkelte ein Bein an, verlagerte sein Gewicht auf das andere. Ein Zeichen seiner Verwirrung.
    Die Laute klangen fern und dumpf, so, als kämen sie aus dem Inneren des Hauses.
    »Natürlich!«, entfuhr es Chris leise. Normalerweise hätte er sich dabei vielleicht mit der Hand vor die Stirn geschlagen, aber seine Finger waren immer noch steif und verkrampft.
    »Was meinst du?«, fragte Lisa.
    »Seine Jungen. Die Brut aus den Eiern. Das sind seine Kinder, die so schreien.«
    Lisa erschrak. »Glaubst du, sie haben Kyra und Nils –«
    Chris unterbrach sie mit einem Kopfschütteln. »Wäre er dann so aus dem Häuschen?« Er deutete mit einem Nicken auf den Storch.
    Tatsächlich hatte der Dämon jedes Interesse an Lisa und Chris verloren.

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