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Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman

Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman

Titel: Siebzehn Silben Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Lieblingsseifenoper ließ ihn gleichgültig, kein Plot vermochte ihn zu fesseln. Die tragischen Erlebnisse der anderen zogen ihn nicht länger in ihren Bann. Tags darauf, im Briefzentrum, war er außerstande, die Post mit der gewohnten Gewandtheit zu sortieren: Da er jedes zweite Mal sein Ziel verfehlte, musste er sich wohl oder übel für die herkömmliche Methode entscheiden. Er trat seine Rundemit einer zwanzigminütigen Verspätung an, in der Hoffnung, dass die Morgenluft ihn aufmuntern würde, spürte jedoch bereits nach lächerlichen drei Kilometern, wie seine Kräfte nachließen. Noch schlimmer war es, als es darum ging, die Treppen der Rue des Hêtres zu bezwingen: Schon bei der vierundzwanzigsten musste er stehen bleiben, tief Luft holen und seinen ganzen Willen zusammennehmen, um bis ans Ende der Straße zu gelangen, wobei er zwischendurch sage und schreibe sechs Pausen einlegte. Was war nur mit ihm los? Brütete er eine Grippe aus?
    Als er im »Madelinot« eintraf, fiel ihm auf, dass er, der gewöhnlich unbändigen Hunger hatte, keinerlei Appetit verspürte, und er bestellte lediglich eine Gemüsesuppe, die er noch nicht einmal aufaß. Er verzichtete darauf, seine kalligraphischen Utensilien hervorzuholen   – ihm war nicht danach   –, und setzte in der Hoffnung, die verlorene Zeit aufzuholen, sogleich seine Runde fort. Er befand sich in einem seltenen Zustand geistiger Verwirrung. Zerstreut, mit den Gedanken ganz woanders, er wusste selbst nicht wo, überquerte er bei Rot eine Kreuzung und wäre um ein Haar von einem Auto erfasst worden. Doch kam er nur vom Regen in die Traufe: Als Bilodo kurz danach in den Briefkasten eines Hauses Werbesendungen einwarf, wurde er von einem angeketteten Hund überrascht. Das einäugige, dem Schild auf seiner Hütte zufolge Polyphemus genannte Tier biss ihn blutrünstig in die rechte Wade und ließ ihn erst los, als sein vonden Schreien alarmiertes Herrchen ihn mit Spatenhieben dazu zwang. So etwas geschah, wenn die Götter einem nicht wohlgesinnt waren.

    Als die Sache mit dem Hund geregelt, Bilodo gegen Tollwut geimpft und seine Wunde nach sechs Stunden Warterei in der Ambulanz verarztet worden war, als diese jämmerliche Odyssee schließlich ihr Ende gefunden hatte, war es schon spät. Bei der Rückfahrt im Taxi hätte Bilodo am liebsten selbst Spatenhiebe ausgeteilt. Die stechenden Schmerzen in seinem Bein steigerten nur noch seine ungehaltene Stimmung. Er hätte am liebsten revoltiert, aber was konnte er schon ausrichten gegen den Fluch, der an diesem schrecklichen Tag, an dem einfach alles schiefging, auf ihm lag? Zu Hause verriegelte er die Tür zu seinem Kokon und humpelte im Wohnzimmer auf und ab, auf der Suche nach etwas, woran er seinen Zorn loswerden konnte. Schließlich reagierte er seine Wut an den aufständischen Bösewichten vom Planeten Xion ab. Während er seine Spielkonsole malträtierte, massakrierte er ganze Legionen von mit Fangarmen bewehrten Wesen, gelangte zum höchsten Level des Spiels und erzielte eine Rekordpunktzahl, ohne allerdings die Wut in seinem Bauch loszuwerden. Schließlich legte er sich erschöpft schlafen und fand ein wenig Frieden bei der Betrachtung von Ségolènes Foto. Er stellte sich vor, wie die schöneGuadelouperin allmorgendlich ihren Briefkasten öffnete, in der Hoffnung, darin ebenjene Antwort von Grandpré vorzufinden, die nie eintreffen würde. Er dachte kurz daran, ihr zu schreiben, um sie vom Tod ihres Briefpartners in Kenntnis zu setzen, doch das war natürlich undenkbar, denn so hätte er sich nur verraten und seine strafbare Indiskretion eingestanden. Wie lange würde Ségolène ausharren, bevor sie aufgab?

    Es geschah bei Gewitter, in der Rue des Hêtres, kurz nach dem Unfall, doch anstelle von Grandpré lag eine blutüberströmte Ségolène in den letzten Zügen auf dem nassen Asphalt. Die junge Frau streckte Bilodo eine zitternde Hand entgegen, flehte ihn an, sie nicht zu vergessen   … da schreckte er keuchend, bis ins Mark erschüttert, aus dem Schlaf auf und kehrte nur mit Mühe wieder in die Realität zurück, denn der Albtraum hielt an und diktierte ihm seine morbiden Bilder. Um seine Angst zu vertreiben, breitete Bilodo Ségolènes Haikus um sich aus, gleichsam als Bannkreis gegen die ihn bedrängende Finsternis. Er begann, sie wie Beschwörungsformeln aufzusagen, was seine Verwirrung nur noch steigerte, denn die Worte erzeugten nicht die erwartete Musik: Sobald sie ausgesprochen waren, wurden sie von

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