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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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Bullauges und Beladen der Maschine.
    Drücken Sie die Taste, die mit einem Schlüsselsymbol gekennzeichnet ist.
    Das Bullauge öffnet sich.
    Achtung: Das Bullauge öffnet sich nur, wenn die Maschine ans Stromnetz angeschlossen ist.
    Vergewissern Sie sich bitte vor dem Beladen der Maschine, dass sich keine Tiere in der Trommel befinden.«
    Der Papagei kreischte: »Leeeeeeeeds!«
    Meine Großmutter setzte den Dialog mit liebevollen Blicken fort, während ihre Tochter ihr mit genervtem Augenrollen antwortete.
    Eine verbotene Jahreszeit, die kein Winter war, ließ ein tierisches Licht am Fenster vorüberziehen, das niemals stillstand und gleich von der Dunkelheit verschluckt wurde, sobald man es betrachtete. Nichts zu machen, in Leeds frisst der Winter mit seinem eisigen Atem jede andere Jahreszeit, so wie es der Wolf mit den kleinen Schweinchen macht. Und dann begräbt er sie im Schnee, ohne auch nur den Hauch eines würdigen Abschieds.
    Ab und zu unterbrach meine Großmutter die Stille, indem sie dem Papagei »Ciao« zurief, »Ciao«. Sie trug einen Trainingsanzug, der genauso aussah wie der meiner Mutter und den sie sich eines Tages mit Vogelkacke bekleckerte. Da sagte sie: »Blöder Vogel«, worauf er antwortete: » Ciao.«
    Ich teilte ihr mit einem Blick mit: Ich helf dir beim Waschen.
    Am dritten Tag hatte das gefiederte Vieh gelernt, in zwei Sprachen »guten Tag« zu sagen und war auch nicht mehr davon abzubringen, genauer gesagt, je öfter der Papagei etwas von sich gab, umso verrückter wurde er, er flatterte im Zimmer hin und her, donnerte gegen die Wände, wobei er unablässig ciao ciao ciao ciao hello hello hello hello rief und meine Mutter ihn verängstigt anschaute.
    Um ihm eine Freude zu machen, fügte ich seiner Liste das »guten Tag« auf Chinesisch zu, das ni hao lautet.
    Er antwortete: »Du musst mit Chinesisch weitermachen«, aber vielleicht war es auch nur ein Krächzen.
    Als meine Mutter genug von ihr hatte, begleitete ich die alte Dame an die Tür und wollte ihr sagen: »Es tut mir furchtbar leid« und auch: »Es ist schön, eine Oma zu haben.« Aber sie kam mir zuvor, indem sie die Tür von selber zumachte und in die leichenfinstere Nacht der Christopher Road hinaustrat, und an der Art und Weise, wie sie die Faust fest um ihr Krokodiltäschchen schloss, sah man, dass sie über das Scheitern ihrer Mission der Wiederbelebung wütend war. Ich berührte den Türknauf, so wie sie ihn berührt hatte, ich drehte daran, als wäre es ganz normal, einen Türknauf zu drehen. Jetzt stand die Tür offen wie eine Wunde an der Brust.
    Es schneite.
    Ich hörte den Papagei schreien. Vielleicht quälte meine Mutter ihn, weil sie wollte, dass ich zu ihr kam. Oder das Vogeltier wollte sich umbringen, was mehr als verständlich gewesen wäre.
    Aber ich schaute der schmalen blauen Figur meiner Großmutter hinterher, bis sie nur noch ein kleiner Leberfleck im Schnee war. Das passierte gleich hinter der Nummer 2, die eine Art Siedepunkt ist, hinter dem die Menschen zu Erinnerungen werden.
    Wieder Vogelgezeter und wildes Flügelschlagen. Draußen ist nichts mehr zu sehen, nicht einmal ein hingespucktes Sternchen oder der Kondensstreifen eines Flugzeugs. So ist sie eben, die Nacht in der Christopher Road. Genauer gesagt, ein solches Nichts ist sie .
    Sie ist ein solches Nichts, dass man einer Katze, wenn man ihr begegnet, schnell ein bisschen Fisch gibt, damit sie einen anschnurrt, bloß dass die Katzen in der Christopher Road nur Menschenfleisch der angelsächsischen Rasse fressen, und dann gehst du nach Hause, kehrst in deinen Winter zurück, zu deiner stummen und verrückten Mutter, die sich ihren Papagei zwischen die Beine geklemmt hat. Sie verbrennt ihm die Flügel mit einer Zigarette, die meine Großmutter zurückgelassen hat, er schnappt dafür mit dem Schnabel nach ihrem Oberschenkel, ein Kampf zwischen Natur und Kultur.
    Meine Mutter ist die Natur.
    Auf dem Sofa vor ihr lag mein Block, aufgeschlagen bei dem nächsten Satz, den ich zu übersetzen hatte. »Vergewissern Sie sich, dass keine Fremdkörper mitgewaschen werden.«
    Ich nahm ihr den Vogel weg und setzte ihn auf den Boden.
    Sie hob ihn wieder auf und quetschte ihn sich zwischen die Beine, wobei sie mir mit den Augen sagte: Was willst du eigentlich? , während sich zwischen ihren bleichen Beinen dieser kunterbunte Körper wand, der alle Farben in seinem Federkleid hatte außer einer – dem Leeds-Grau, das alle Farben um sich herum verschlingt, ohne zu

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