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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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entschuldige … das ist dein Italienisch … Ich weiß nicht, ist irgendwie komisch.«
    Als ich auf dem Weg nach Hause war, las ich mir den Text mehrfach durch, genauer gesagt, als ich auf dem Abstieg nach Hause war, denn fast niemand weiß, dass die Woodhouse Lane auf der einen Seite und die Headingley auf der anderen wie zwei schmuddelige offene Schenkel sind, die sich weiter unten zur Christopher Road, meiner Straße, vereinen, an einem Punkt des makabren Zusammentreffens all der Scheußlichkeiten der menschlichen Rasse.
    Als ich vor der Tür stand, verlangte ein kleines Kerlchen mit langer Nase Handy und Geld von mir, damit er sich Drogen kaufen konnte. Ich sagte zu ihm: »Das Bullauge auf keinen Fall gewaltsam öffnen«, worauf er mit »Blöde Schlampe« antwortete.
    Ich schaute ihm hinterher, wie er im pornographischen Licht des Sonnenuntergangs seinen Abgang machte. Ich betrat das Haus und schloss das Schlachthaus da draußen mit seinen fleischigen, blutigen Wolken aus.
    Dann kotzte ich ein ausgiebiges Das Bullauge auf keinen Fall gewaltsam öffnen auf das blöde Katzenvieh, das neben dem Fenster saß und das ich am Tag vorher auf der Straße gefunden hatte. Aber warum war es im Haus?
    Ach so, ich wollte es ja als Fußabstreifer verwenden.
    Von meinem ersten Übersetzungshonorar kaufte ich meiner Mutter einen Papagei. Einen Namen gaben wir ihm nicht, weil wir ja nicht redeten. Er war schön, lebhaft und erweckte, wenn er hin und her flatterte, das erloschene Grau der Wände zu neuem Leben. Während ich übersetzte, machte sie mit dem Handy Fotos von ihm.
    Das Schöne am Übersetzen war, dass ich dafür nicht zu reden brauchte. Bedeutungen gab es trotzdem, nur ohne mühsame Vibrationen in der Kehle, und wenn ich mit den beiden Typen von der Firma kommunizieren wollte, genügte eine Mail.
    Dann, eines Nachts, es wird im Dezember gewesen sein, klingelte es an der Tür, und ich schreckte aus dem Schlaf hoch. Als ich die Tür öffnete, stand eine blondierte ältere Dame vor mir, die nach neuem Stoff roch. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm und hatte ein ebenso mageres Gesicht wie ich. In der Hand hielt sie einen Blumentopf mit Veilchen.
    Fast hätte ich gesagt: Sie wünschen, bitte?
    Sie antwortete auf mein Schweigen, indem sie mir ins Ohr flüsterte, sie sei meine Großmutter, deren Gesicht ich wahrscheinlich vergessen hätte. Während sie sprach, rieselten ihr lauter kleine Hautschüppchen vom Hals. Ich trat beiseite, um sie reinzulassen. Sie hatte die Augen meiner Mutter. Damit meine ich, dass früher meine Mutter sie hatte und jetzt nur noch sie.
    Sie schaute mich an, überreichte mir den Blumentopf, sagte: »Du siehst deinem Vater ähnlich, dem Scheißkerl«, und mit diesem Satz kam eine ganze Lawine aus unverständlichem piemontesischem Dialekt ins Rollen, der wie Französisch klang. Eine Erinnerung, die ich von meinen sieben Jahren in Turin nicht wirklich in mir aufbewahrt hatte.
    Ohne Zögern machte sie sich zum Zimmer ihrer Tochter auf den Weg, die Treppe hinauf in den zweiten Stock, wobei sie sich erst gar nicht mit dem ersten Stock aufhielt, als hätte sie einen Radar. Vielleicht stank meine Mutter aber auch, und ich hatte es bloß noch nicht gemerkt.
    Ich nahm einen Stift und schrieb mir auf die Hand, dass ich sie gleich morgen dazu bringen wollte, zu duschen. Dabei hörte ich, wie meine Großmutter allein auf ihre Tochter einredete.
    Ich trug die Veilchen in die Küche. Duftveilchen waren es bestimmt nicht, aber vielleicht Hundsveilchen? Wie viele Sorten Veilchen es gibt! Und alle sehen sie so nett aus. Ich holte die Schere. Und nahm mir die Blüten zur Brust.
    Und ging zum Müll, um den Topf mit den abgesäbelten Stängeln wegzuwerfen.
    Bevor ich die Tür wieder zumachte, spähte ich einen Moment lang auf die Straße hinaus.
    Aus dem Zimmer meiner Mutter waren die Worte meiner Großmutter zu hören. Es schneite, aber kalt war es nicht. Ein Junge mit blauer Kapuzenjacke und iPod-Kopfhörern kam vorbei. Er sang. Ihm machte es nichts aus, dass er vollgeschneit wurde.
    Meine Großmutter brachte dem Papagei das Sprechen bei, und meine Mutter brachte meiner Großmutter das Nichtsprechen bei. Nach einer Woche hatte sich die alte Dame vollkommen eingewöhnt. Morgens setzten sich die beiden mit ihrem gefiederten Hausgenossen aufs Sofa und begannen einen Dialog aus Pausen, bei dem ihnen Worte nicht in die Quere kamen. Ich setzte mich zu ihnen auf den Boden und machte meine Übersetzungen.
    »Öffnen des

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