Sieg der Leidenschaft
Verdammt, gehen Sie endlich, retten Sie die Verletzten - und erzählen Sie keiner Menschenseele, was Sie hier gesehen haben, Jemmy Johnson. Sonst schieße ich Sie nieder, verstanden? Nehmen Sie den Seminolenweg. Ich reite die östliche Route entlang. Hoffentlich kann ich die Feinde von euch ablenken. Wenn ich herausgefunden habe, wie stark die Truppe ist, wechsle ich die Richtung und treffe Sie bei Einbruch der Dunkelheit.«
»Ja, Ma'am.«
Zu ihrer Erleichterung salutierte er und sie erwiderte den militärischen Gruß - was sie sofort bereute, weil dadurch das lange Haar von einer ihrer Brüste glitt. Nach einem letzten sehnsüchtigen Blick wandte sich Jemmy ab und eilte davon. Sie beobachtete, wie er den Verwundeten mit Hilfe der beiden anderen Soldaten auf die Pferde half, dann schwangen sie sich in die Sättel und bogen in den alten Indianerpfad.
Tia wollte zur anderen Seite des schmalen, seichten Flusses waten, um ihre Kleider zu holen. Doch da hörte sie leise Hufschläge im weichen Erdreich. Ihre Stute Blaze stand an diesem Ufer. Die Kleider oder das Pferd? Beides konnte sie nicht holen. Dafür fehlte ihr die Zeit. Wofür sollte sie sich entscheiden?
Die Kleider! Und wie sollte sie ohne Blaze zu den Verwundeten gelangen? Was machte das bisschen Nacktheit schon aus, wenn es um menschliches Leben ging? O Gott, warum hatte sie ausgerechnet an diesem Tag ein Bad nehmen müssen?
Vielleicht würde der Feind einfach nur sein Pferd trinken lassen und weiterreiten. Oder er war gar kein Feind.
Während sich ihre Gedanken überschlugen, erschien ein großer Reiter in ihrem Blickfeld, das Gesicht von einem breitrandigen Federhut überschattet, in einem Kavalleriejackett von der Union. Unverkennbar ein Feind, dachte Tia schweren Herzens. Aber zum Glück war der Yankee allein. Und er würde diese Gegend gewiss nicht so kennen wie sie. Ihre geografischen Kenntnisse hatte sie von ihrem Vater und ihrem Onkel gelernt, in dessen Adern Indianerblut floss. Während der langwierigen, blutigen Seminolenkriege hatte er das ganze Gebiet erkundet.
Wer mochte der Yankee sein? Kein Spion, denn er hatte sich nicht getarnt. Stattdessen trug er die unverwechselbare Unionsuniform. Ein Späher? Ja, vermutlich suchte er geeignete Wege für geplante Truppenbewegungen. Oder folgte er Tias hilflosen Schützlingen -diesen halben Kindern, die Soldaten spielten? Was sollte sie tun, wenn er ihre Spuren auf dem alten Indianerweg entdeckte? Er war allein, aber gut bewaffnet. Quer über seinem Sattel entdeckte sie ein festgebundenes Schützengewehr, im Sattelschuh ein Spencer-Repetiergewehr, zwei sechsschüssige Colts im Gürtel. Und wie seine lässige selbstsichere Haltung andeutete, wusste er mit all seinen Waffen umzugehen. Wenn er den Jungen folgte, würden sie womöglich sterben.
Aufmerksam blickte sich der Scout von der Unionskavallerie um. Hufspuren am Wasserrand, zerbrochene Zweige. Und irgendjemand war in der Nähe.
In der Dämmerung wirkte der schmale Nebenfluss des St. Johns sehr idyllisch. Dunkelgrüne Kiefern überschatteten das Wasser. Zwischen den Zweigen funkelten die letzten Sonnenstrahlen. Auf der anderen Seite stolzierte ein anmutiger Vogel auf hohen Beinen vorbei
- ein schneeweißer Kranich, der plötzlich innehielt und ein Bild von ätherischer Schönheit bot. Angespannt wartete er so reglos, dass er einem Gemälde glich.
Und dann entdeckte Taylor Douglas die Frau. War sie allein? Eventuell jetzt. Vorher nicht ... Da stand sie, an einen Kiefernstamm gepresst, halb verborgen von den Zweigen, reglos wie der Vogel. Und wie der Kranich schien sie zu warten und zu lauschen. Taylor stieg von seinem kastanienbraunen Hengst namens Friar, kauerte sich ans Ufer und spritzte Wasser in sein Gesicht. Verstohlen beobachtete er die Frau auf der anderen Seite. Sie glaubte, sie hätte sich gut versteckt. Trotzdem sah er einen schlanken Arm, langes schwarzes Haar, die fein gezeichneten Züge einer typischen Südstaatenschönheit - und dunkle Augen, die ihn anstarrten.
Kampflustig. Sprungbereit. Offenbar wartete sie nur auf den richtigen Moment ...
Wusste sie, dass er sie entdeckt hatte? Wohl kaum. Dank seiner ungewöhnlich scharfen Augen war er ein ausgezeichneter Schütze und Späher. Außerdem kannte er diese Gegend besser als sie meisten Unionssoldaten. Wie er bereits herausgefunden hatte, kampierten die Streitkräfte Captain Dickinsons von der Konföderation ganz in der Nähe. Waren die Südstaatler schon so verzweifelt und ihre
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