Siegfried
plötzlich in seinen Augen aufleuchtete, erschreckte mich, und ich war froh, daß ich es jedenfalls nie erfahren würde.
»Und was wäre mit mir geschehen, wenn es wahr gewesen wäre?« Als er nicht antwortete, meinte ich vorsichtig:
»Könnte es nicht sein, daß die Gestapo …«
»Schweig!« fiel er mir in die Rede. »Ich kann nicht glauben, daß mein treuer Heinrich so etwas tun würde.«
»Aber wer hat dann die Akten gefälscht? Und warum?«
»Ich weiß es nicht. Aber vielleicht werde ich es ja noch erfahren in den paar Tagen, die uns bleiben.«
Daraufhin schickte er mich weg. Er war müde. Ich solle mit den Sekretärinnen noch ein wenig Champagner trinken.
21. IV. 45
Den ganzen Tag das ununterbrochene Dröhnen der Granateinschläge, über uns hören wir, wie die stolze Reichskanzlei immer weiter einstürzt, doch auch daran gewöhnt man sich. Am schlimmsten finde ich, daß ich meine Kleider nicht mehr waschen kann. Ich stinke. Alle, die noch übriggeblieben sind, stinken. Auch Adi.
22. IV. 45
Morell ist zum Glück verschwunden. Seine Wohnung hat auf Einladung des Führers Goebbels mit seiner Familie bezogen. Der kleine Hinkefuß ist offenbar überglücklich, daß er endlich zum engsten Kreis um Hitler gehört. Sie wollen zusammen mit ihm sterben. Das heißt, Goebbels und seine Magda wollen das – ihre sechs kleinen Kinder werden nicht gefragt. Ich habe heute nachmittag mit ihnen gespielt und ihnen aus »Max und Moritz« vorgelesen. Helga, Holde, Hilde, Heide, Hedda, Helmut – in allen klingt der Name »Hitler« an. Magda ist fest entschlossen, sie zu vergiften, denn ein Leben ohne Führer sei das Leben nicht wert. Adi führte den ganzen Tag über verzweifelte Gespräche mit Keitel, Jodl und anderen Generälen, während er zwischendurch wütend mit Dönitz, Himmler und was weiß ich wem sonst noch telefonierte. Abends sprach ich kurz mit ihm, als er mit einer Lupe seine persönlichen Papiere und Dokumente sortierte, um sie im Garten verbrennen zu lassen. Während es über uns pausenlos krachte und donnerte, fragte ich ihn, was er von Magdas Plan halte, ihre Kinder zu ermorden. Zitternd hielt er sich an der Tischkante fest, sah mich ein paar Sekunden lang starr an und sagte: »Das ist ihre freie Entscheidung, meinetwegen kann sie auch abhauen. Aber sei froh, daß Siggi nicht mehr lebt. Denn sonst hättest du das auch mit ihm machen müssen. Oder wäre es dir lieber, wenn Stalin ihn im Moskauer Zoo zur Schau stellen würde?«
23. IV. 45
Jeden Tag, jede Stunde kann es nun vorbei sein, doch es ist mir egal, wenn ich nur bei meinem Geliebten bin. Ihn heute nacht kaum gesprochen. Abschiedsbrief an Gretl geschrieben, die kurz vor ihrer Niederkunft steht. Ihr versichert – aufgrund von nichts –, daß sie Fegelein bestimmt wiedersehen wird.
Speer ist plötzlich wieder in der Zitadelle auf
getaucht, gegen Mitternacht haben wir in meinem Zimmer eine Flasche Champagner getrunken. Er konnte es nicht ertragen, daß er an Adis Geburtstag gegangen war, ohne sich zu verabschieden. Er bezeichnete Hitler als einen »Magneten«. Unter Lebensgefahr ist er in einem kleinen Flugzeug durch das feindliche Feuer geflogen und auf der Siegesallee beim Brandenburger Tor gelandet. Er kennt keine Angst; darin ist er Adi bestimmt überlegen. Von ihm hörte ich, daß heute mittag ein Telegramm von Göring kam, in dem er vorschlägt, die Macht zu übernehmen, wenn Hitler in Berlin handlungsunfähig geworden ist. Bormann überzeugte Hitler davon, daß dies ein Putschversuch war, woraufhin Adolf Göring von all seinen Ämtern entband und einen Haftbefehl gegen ihn ausstellte. In Wirklichkeit aber, sagte Speer, handele es sich hierbei um einen Putsch von Bormann, mit dem er seinen alten Rivalen um Hitlers Nachfolge ins Abseits manövrierte. Mit Tränen in den Augen soll Adi gerufen haben, daß ihn nun auch sein alter Kamerad Göring verraten habe, und dies sei jetzt das Ende. Ich finde keine Worte, um auszudrücken, wie ich ihn bemitleide. Heute nacht ist Speer wieder gegangen. Ich hoffe, er schafft es.
24. IV. 45
Heute kam Adi plötzlich in mein Zimmer und sagte ohne Einleitung: »Angenommen, es hätte gestimmt, und wir hätten nie davon erfahren, und wir hätten den Krieg gewonnen, und Siggi wäre mein Nachfolger ge worden, dann wäre das der allergrößte Coup des Judentums gewesen: Dann hätte das jüdische Blut die Weltherrschaft erobert und die menschliche Zivilisation vernichtet, denn das ist es, was der Jude immer und
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