Unsterbliches Verlangen
Prolog
Freitag, 13. Oktober 1307
Diese Tür sollte offensichtlich nicht geöffnet werden.
Liebevoll strich Severian de Foncé mit einer schmutzigen, von Schwerthieben vernarbten Hand über das massive Holz und verharrte an dem Eisenschloss. »Da drinnen muss sich ein Schatz verbergen, wenn es solchen Schutzes bedarf.«
Eine Vielzahl großartiger und beängstigender Gefühle überkam ihn. Was mochten die Templer hinter der Tür verstecken? Einen Kirchenschatz, wie König Philip behauptete, oder ein Instrument des Bösen? Über die Templer gingen so viele Gerüchte um, die sie abwechselnd als Heilige oder übelste Gotteslästerer beschrieben. Was von beiden waren sie?
Adrian du Lac, einer seiner fünf Gefährten, schlug ihm mit seiner nicht minder schmutzigen und kampfgezeichneten Hand auf die Schulter. In der anderen hielt er die Fackel. »Tritt beiseite, mein Freund!«
Severian nahm ihm die Fackel ab und trat zu den anderen zurück, damit Adrian sich vor das Schloss hocken und es genauer ansehen konnte. Sie alle waren schlachtengegerbt und verdreckt.
Ihr Auftrag von König Philip lautete, die Geheimnisse des Templerordens zu lüften und sie um ihre Schätze »zu erleichtern«. Falls es hinter dieser Tür also einen Schatz gab, wollte ihr König ihn. Und sie alle wollten ihren Anteil. Aber falls Böses hinter dem dicken Holz lauerte, bekämen sie auch davon ihren Anteil. Um die Gefahr wussten sie ebenso gut wie der Mann, der sie angeheuert hatte.
Deshalb waren sie hier, um auf Geheiß ihres Königs Leib und Leben zu riskieren. Philip hatte die sechs Männer ausgewählt, weil sie unter den Söldnern wie Soldaten den Ruf genossen, keinem Kampf aus dem Weg zu gehen und ihre Pflicht verlässlich zu erfüllen, sofern der Preis stimmte. Und ihr Preis war ein Anteil der Templer-Reichtümer, die sie dem König beschaffen konnten.
Es gab gewiss leichtere Wege, sich sein Brot zu verdienen, nur war Kämpfen das Einzige, was sie beherrschten, und so wenig ehrbar ihre Aufgabe sich auch zunächst ausnahm - erfüllten sie sie, war ihnen Anerkennung sicher. Sie waren Krieger, deren Platz eigentlich im Heer war, doch wie konnten sie sich ihrem König verweigern? Seinen Auftrag abzulehnen käme einer Verleugnung ihres Heimatlandes gleich, jenes Landes, für das sie wieder und wieder in die Schlacht gezogen waren.
Hatten sie Philip erst den Schatz geholt, wäre Severian wohlhabend genug, um sich niederzulassen und das Anwesen seines Vaters zu übernehmen. Dann wollte er Marie heiraten und sein Schwert auf immer ablegen. Endlich hätte er das Leben, das er sich stets wünschte, an der Seite der Frau, die er über alles begehrte.
Tief unten in den Gemäuern der Templerburg hatten sie am unteren Ende einer stellen alten Treppe diese Tür in der Dunkelheit gefunden. Sie entdeckten sie eher zufällig. Dreux war neugierig geworden, als er in einigen alten Manuskripten von einem Geheimgang las.
»Nun?«, fragte Severian, dessen Gedanken zu seinem Auftrag zurückkehrten. »Kannst du es aufbrechen?«
Severian und die anderen sahen zu, wie Adrian eine kleine Lederrolle aus seinem Stiefel zog. Daraus holte er ein Werkzeug hervor, das im flackernden Fackelschein nicht recht zu erkennen war. Grinsend steckte er es in das Loch des schweren Schlosses. »Noch wurde kein Schloss geschmiedet, das meinem Willen zu trotzen vermochte.«
Seine Worte wurden von einem Klicken bestätigt, und das Schloss sprang auf. Mit einem höchst selbstzufriedenen Ausdruck erhob Adrian sich und entfernte das Schloss, worauf die Tür mit einem tiefen Knarren nach innen schwang. Drinnen war alles dunkel und still, was sich nach den zahlreichen Wachen, gegen die sie sich durch das Labyrinth von Treppen, Geheimkammern und Korridoren kämpfen mussten, beinahe gespenstisch ausnahm. Ohne die Pläne, die Philips Folterknechte dem Templer entlockt hatten, hätten sie den Raum niemals gefunden.
Zweifellos wollte jemand, dass das, was hinter dieser Tür war, verborgen blieb.
»Einen solchen Aufwand treibt man gewöhnlich bloß, um außerordentlich Wertvolles oder außerordentlich Gefährliches zu schützen«, sagte Severian. » Und weil bei den Templern beides möglich ist, seid auf der Hut!« Alle sechs zogen gleichzeitig ihre Schwerter.
Als Erster ging Severian hinein. Die Fackel in seiner Hand tauchte die Kammer in einen flirrenden Goldschimmer. Severian sah sich langsam um. Der Raum war kahl und leer, bis auf einen Holztisch in der Mitte.
Und der Tisch war
Weitere Kostenlose Bücher