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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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Anboleis vor Augen
     
    Die Stadt ragte vor ihm auf wie ein Gebilde aus Edelsteinen. Ihre Gebäude bestanden restlos aus einem transparenten Material. Sie erhoben sich, so weit das Auge reichte, in den rot getönten Himmel über Gadomenäa. Viele von ihnen durchstießen das dünne Gewölk, das in zehn oder zwölf Kilometern Höhe allmählich über der Stadt dahintrieb.
    Die Reiselandschaft Vae-Bazent, der er vor wenigen Minuten den Rücken gekehrt hatte, und seine Erlebnisse dort – in der fliegenden Wüste, bei den Coccularen, seine Tage und die Nacht mit der Spiegelin –, sie alle verloren an Raum in seinem Bewusstsein wie ein abklingender Schmerz.
    Ich bin da, dachte er, nur diesen Satz. Wie banal das klang. Dabei war es eine ganz unwahrscheinliche Anwesenheit: Er, der Mensch von der Erde, Shamsur Routh, ein Journalist, hatte Anboleis erreicht; gegen jede Wahrscheinlichkeit, ohne technischen Rückhalt, ohne jede militärische Unterstützung war er vorgedrungen zu einer zentralen Stätte sayporanischer Kultur.
    Er hatte sich von nichts abhalten lassen, schon gar nicht von den Coccularen.
    Nachdem er einige Minuten gewartet hatte, geschaut, auch gelauscht, ob aus der Stadt nicht etwas zu ihm herübertönte, ein ferner, vielleicht verheißungsvoller Klang, nachdem er die Stille in sich aufgenommen hatte, setzte er sich in Bewegung.
    Er ging vorwärts. Hinter seinem Rücken erhob sich ein Rauschen. Es klang, als hätte sich alles, was auf dieser Welt Flügel hatte, zusammengetan und schwirrend in die Lüfte erhoben. Fort von dem drohenden Winter und der künftigen Not, dringend fort.
    Routh drehte sich nicht um. Er konnte sich vorstellen, was geschah. Die reisende Landschaft würde bald an Höhe gewinnen und gleich darauf Fahrt aufnehmen. Sie würde ihren ziellosen Weg fortsetzen; sie brauchte keine Steuerung, hätte gut mit den großen Luftströmungen treiben können.
    Es interessierte Routh nicht mehr. Nur an das Grab der Spiegelin würde er lange denken, und vielleicht gehörte das Grab zu den wenigen alles überdauernden Erinnerungen, die einen Menschen prägten, zu den Fragmenten der Zeit, die aus der Vergangenheit herausgebrochen waren, um unaufhörlich gegenwärtig zu sein.
    Routh warf einen Blick auf die kupferfarbene, leicht gewölbte Scheibe an seinem linken Handgelenk. Mit einem Fingertipp aktivierte er die Zeitanzeige. Auf Terra schrieb man den 14. Oktober 1469 NGZ – als wäre ausgerechnet die Zeit etwas, an dem man sich festhalten könnte.
    Routh näherte sich einem sehr niedrigen, kaum kniehohen Wall, der sich zu beiden Seiten bis zum Horizont ausbreitete. Er konnte mit einem Schritt hinübersetzen. Jenseits des Walls lag eine deutlich gestaltete Landschaft, ein Park. Die Wege breit, geschwungen, wie mit einem überdimensionalen Pinsel auf das Land gemalt. Der Boden war mit einer Art dunkler Streu ausgelegt und federte leicht.
    Routh wählte einen Weg, der ihn tiefer in die Stadt zu führen versprach. Die riesenhaften Glasbausteine der Stadt warfen keinerlei konturierten Schatten. Das Gras der Wiesen schimmerte in einem dunklen roten Ton wie Klatschmohn. Routh bückte sich und strich über die Halme. Sie fühlten sich kühl an und spröde, fein gesponnene, durchsichtige Kristallfäden, die mit einem kaum hörbaren Klirren unter seinen Fingerkuppen brachen. Sogar das Gras ist aus Glas, dachte er verblüfft.
    Die weit verstreut stehenden Bäume wirkten blass und knöchern, die Kronen trugen keine Blätter, sondern wirkten wie in eine rotgoldene, tausendfach eingefaltete Folie gewickelt. Sie pulsierten langsam.
    Ihn fröstelte. Nicht nur der Morgenkühle wegen. Er zog den Thermomantel enger um den Leib und schloss seine Magnetleisten.
    Banteira, die große rote Sonne des Weltenkranzsystems, stand ohne klaren Umriss am Himmel über Gadomenäa.
    Das Rauschen hinter ihm wurde intensiver. Er drehte sich nicht um. Er wusste, dass es Vae-Bazent war, die fliegende Landschaft, die ihn nach Anboleis getragen hatte und nun weiterzog.
    Die Heimat und letzte Zuflucht der Vae-Vaj. Das Land, auf dem 1113 Taomae gestorben war, die Spiegelin.
    Seine Geliebte, die, er wusste nicht, aus welchem Grund, die Gestalt seiner ehemaligen Frau angenommen hatte, der Mutter Anicees.
    Er tastete in den Kragen seines Thermomantels und überprüfte kurz, ob er noch das Schemenkleid der Spiegelin trug. Ich brauche den Symbionten nicht mehr, hatte sie gesagt. Dann war sie gestorben. Routh hatte in ihr insektoides Gesicht gesehen,

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