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Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Titel: Sieh mir beim Sterben zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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bin. Ich habe ganz gern Gesellschaft beim Frühstück.»
    John hängte sein Jackett über den stummen Diener, der neben dem Bett stand. «Ja, ich auch.»
    Harley verschränkte die speckigen Arme vor der Brust und musterte seinen Gast einen Augenblick lang neugierig. «Keine Familie, was?»
    Smith schüttelte den Kopf. «Ich bin mit der Arbeit verheiratet.»
    «Ich weiß genau, was Sie meinen. Und was passiert, wenn die Arbeit sich mal scheiden lässt?»
    «Fragen Sie mich das in einem halben Jahr nochmal.»
    Harley runzelte die Stirn. «Zwangspensionierung?»
    Smith nickte. «Das hier ist mein letzter Fall.»
    «Ein Jammer. Sie machen Ihren Job nämlich verdammt gut.»
    «Danke. Gleichfalls.»
    «Was werden Sie denn dann mit der vielen Freizeit anfangen?»
    «Ich werde mir wohl irgendein sinnloses Hobby zulegen. Und nebenher vielleicht ein bisschen als Berater arbeiten.»
    «Ich habe massenhaft sinnlose Hobbys. Auf die Dauer werden die aber alle fad.»
    «Sie brauchen doch auch keine Hobbys, Mr   Davidson. Sie haben eine Familie.»
    Harley wippte auf den Fersen und grinste. «Für so was ist es nie zu spät, John Smith», sagte er. Dann zog er die schwere Eichentür hinter sich zu.
     
    Die Dampfdusche war ein Traum. John saß eine halbe Ewigkeit auf der Marmorbank und sah den Dampfwolken zu, die sich um seine Beine ringelten, bis er sich schließlich aufraffen konnte, diesen Vulkandampf wieder zu verlassen und sich in das Bett zu legen, dessen winzige Gewichtssensoren sich seinem Körper optimal anpassten. Kaschmir war wirklich ein unglaubliches Material, dachte er, als er den Pyjama überstreifte und unter ein Federbett glitt, das ihn spontan daran denken ließ, wie seine Mutter ihn immer ins Bett gebracht hatte. Dann hatte sie ihn mitten auf die Nase geküsst und ihm gesagt hatte, dass der nächste Morgen ganz sicher kommen und wieder schön und hell werden würde.
    Stunden später, als das Licht der anbrechenden Dämmerung die Farben im Zimmer veränderte, hörte er im Traum ein leises Piepsen. Es klang wie seine Mikrowelle in der Wohnung in Washington, die ihm sagte, dass sein Truthahn-Fertiggericht jetzt auch wirklich fertig war.
    Ein Teil seines Hirns wusste, dass er mit dieser Botschaft auf der falschen Fährte war, dass er sich gar nicht in seiner Wohnung in Washington befand und das Piepsen etwas anderes bedeuten musste; doch irgendwann verklang das Geräusch wieder, und er hörte nur noch seine eigenen tiefen und regelmäßigen Atemzüge.
    Doch im Monkeewrench-Büro, gleich neben John Smiths Jungs-Zimmer, blinkte es blau auf Roadrunners schwarzem Bildschirm.
    «StAdT dEr SeEn», stand dort. «Tausende. Überall.» Und jedes Mal, wenn die Nachricht aufleuchtete, piepste es vernehmlich.
     
    Chelsea Thomas stützte die Tüte mit dem Essen vom vietnamesischen Schnellimbiss auf dem Oberschenkel ab, während sie mit dem uralten und höchst launischen Schloss ihrer Doppelhaushälfte in der Vorstadt kämpfte. Der Makler, der ihr das Häuschen vermietet hatte, hatte es als «geschichtsträchtig» und «charmant» bezeichnet, ihr allerdings entging dieser Reiz. Für sie waren solche Adjektive rein kosmetischer Natur, verbale Schönheitskorrekturen, die nichts an der Tatsache änderten, dass das Haus mehr als hundert Jahre alt war und schlimmer knarrte, ächzte und tropfte als ein ganzes Altersheim. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es keine Einbauschränke enthielt; anscheinend hatten die Menschen vor hundert Jahren weder Kleider noch Schuhe besessen, zumindest nicht hier im Mittleren Westen.
    Noch zwei Monate, dann war die schicke Eigentumswohnung am Fluss, die sie sich gekauft hatte, endlich bezugsfertig. Der Mietvertrag für die Doppelhaushälfte lief zwar erst in vier Monaten aus, doch Chelsea störte es nicht, zwei Monate lang die doppelten Kosten zu tragen. Geld war kein Problem und war auch noch nie eines gewesen.
    In der Welt, aus der sie kam, wäre die ganze Anlage hier bereits abgerissen und von Grund auf saniert worden: Man hätte eine Fünfhundert-Quadratmeter-Nachbildung einer toskanischen Villa an ihre Stelle gesetzt, so wie die, in der Chelsea aufgewachsen war. Was war denn auch so schlimm an demonstrativem Kapitalismus, wenn dafür die Türschlösser und die Leitungen funktionierten und vielleicht noch der eine oder andere Einbauschrank dabei heraussprang? Vermutlich lag es auch am Viertel: Hier lebten lauter Leute, die das Understatement regelrecht kultivierten und offenbar eine geradezu

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