Sigi Wulle und die Bankräuber
mir Strup sab , und ich mußte allein zu meinem Schilfhäuschen waten. Von dort aus suchte ich wieder ein paar Eier, um den schrecklichen Hunger zu stillen. Doch ich blieb nicht lange weg; ich wollte nicht riskieren, daß sie mein Tier quälten, was ich ihnen ohne weiteres zutraute. Mit einigen Eiern in der Hand tappte ich zurück; aber ich wußte, daß sie faul waren, denn ich hatte eines aus diesem Nest aufgeklopft, das abscheulich stank. Sie freuten sich erst über mein Geschenk, waren dann aber sehr enttäuscht, weil auch diese entsetzlich stanken. Karl hatte seines gleich in den Mund gesteckt und aufgebissen und dann ausgespuckt. Daraufhin schüttelte ihn ein Hustenanfall, daß sein Gesicht blau anlief und dicke Adern an seiner Stirn sichtbar wurden.
„Es tut mir leid!“ log ich mit ernstem Gesicht, während ich mich innerlich freute. „Ich hab’ es gut mit euch gemeint und kann nicht in ein Ei hineinblicken.“
„Das ist wahr!“ schrie Kitty. „Aber in deinen verdammten Schädel kann man auch nicht hineinschauen!“
Gott sei Dank, dachte ich, weil sie sonst gemerkt hätten, daß ich sie ärgern wollte. Wir konnten die Insel wieder nicht verlassen, da man damit rechnen mußte, daß sich noch Polizisten am Ufer aufhielten. Es regnete auf unser Schilfdach, und darunter herrschte Hunger, Nässe und Kälte. Die Ganoven zankten immer häufiger und warfen Karlchen vor, er hätte alles falsch organisiert und ein Auto geklaut, das nichts getaugt habe und mitten auf der Flucht stehenblieb. Außerdem sei es eine Verrücktheit gewesen, zu dieser Insel zu rudern, die keine Insel sei und wo man mitsamt dem vielen schönen Geld krepieren könnte.
Ich fischte einige Wasserpflanzen aus der Schlammbrühe und fütterte damit meinen Strups, der ebenfalls Hunger litt, und Karlchen fragte, ob Meerschweinchen eßbar seien. Glücklicherweise sagte Kitty, sie seien eine Rattenart und deshalb giftig. Sie habe gehört, daß man krank davon werde und sogar die Pest kriege. Mit diesem Geschwätz wurde es Abend. Es regnete immer stärker, und ein kalter Wind fegte über uns hinweg. Lange konnte ich nicht einschlafen; ich stellte mir vor, was sie zu Hause wohl über mich sagten und ob Onkel Edilein bereute, daß er mich immer für einen Gauner gehalten hatte, ob Patin Bertalein mich einen Dreckspatz nannte, und ob sie mich vielleicht überall suchten, da sie ja Detektive waren und während der letzten Jahre viele Verbrecher gefangen hatten.
Kapitel 10
Der dritte Tag auf der Insel hatte einen schlechten Anfang, weil es immer noch regnete, und zwar so stark, daß die Tropfen nun auch durch das Schilfdach drangen und unsere Kleider nicht mehr trocken wurden. Kitty war schon erkältet und litt unter Husten, Schnupfen und Fieber sowie unter Heiserkeit. Ihre Stimme klang wie eine rostige Gießkanne, als sie vorschlug zurückzurudern und in den Knast zu wandern; vielleicht billige man ihnen mildernde Umstände zu, wenn sie das Geld an die Polizei ablieferten.
„Du spinnst wohl!“ knurrte Lulu.
„Und wenn ich eine Lungenentzündung kriege?“ schrie Kitty.
Er grinste nur blöd.
„Und wenn ich abkratze?“ schrie sie.
„So rasch geht das nicht“, brummte er.
„Ohne Medikamente kann das Schlimmste passieren!“ heulte sie, während Tränen über ihre Backen liefen, die vom Fieber gerötet waren.
„Dein Risiko!“ sagte Lulu kaltschnäuzig. „Ein Bankraub ist kein Spaziergang, und deinetwegen verzichte ich nicht auf die Penunzen und setz’ mich dafür in den Knast.“
Das Karlchen machte keinen Mucks, da ihn der Hunger völlig geschwächt hatte. Er lag auf dem Boden des Kahnes, stöhnte, schnaufte und hatte nicht mehr die Kraft, laut und deutlich zu reden. Manchmal flüsterte er nur etwas Verrücktes; anscheinend meinte er, er säße in einem Restaurant und hätte bei dem Ober lauter feine Gerichte bestellt: eine Schildkrötensuppe und ein Schnitzel à la Milanese und ein Goldbarschfilet mit Majonnaise sowie eine mit Kastanien und Äpfeln gefüllte und außen schön knusprig gebratene Pute.
Nun konnten die Gangster nicht mehr einfach abhauen, wegen der Krankheiten und weil sie furchterregend aussahen mit zerknitterten, dreckigen und zerrissenen Kleidern und mit Schrammen und blauen Flecken in den Gesichtern sowie Stoppelbärten bei den Männern, wie sie Räuber in Märchen besitzen. Das verschlimmerte sich mit jedem Tag, da sie weder über einen Rasierapparat noch über Spiegel und Seife verfügten und sich ihre Wunden
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