Silberband 009 - Das rote Universum
teil, aber wir
gehörten ihm nicht an. Wir waren eine Enklave unseres eigenen Universums in diesem fremden Raum.
Dann taten wir den entscheidenden Schritt: Wir flogen mit der K-238 von unserem ersten Landeplatz
zu diesem zweiten hier – und bewegten uns dabei mit einer Geschwindigkeit, die größer war
als die Lichtgeschwindigkeit in diesem Universum.
Für einen Beobachter, der diesem, dem Solitude-Raum mit seiner langsamen Eigenzeit angehörte,
kann das nur so ausgesehen haben: Er sah uns vom ersten Landeplatz starten, aber er konnte uns
hier nicht landen sehen. Denn die Landung am zweiten Platz war eine kausale Folge des Starts vom
ersten Platz, und gerade die Kausalität ist durch die überlichtschnelle Bewegung
verlorengegangen. Für uns war das anders: Wir bewegten uns mit der lächerlichen Geschwindigkeit
von fünfzehntausend Metern pro Sekunde. In unserem Raum ist das nur ein Zwanzigstel der
Lichtgeschwindigkeit. Wir starteten, und kurze Zeit später landeten wir auch. Kausaler
Zusammenhang. Die Verwirrung entstand erst, als die Druuf aus ihren vier Schiffen ein
Krümmungsfeld auf die Oberfläche von Solitude projizierten und gleichzeitig sowohl uns auf
die fremde Zeitebene warfen als auch ein paar von ihren Robots in unsere, die schnellere
Eigenzeit herüberschleuderten. Denn damit waren wir zu Beobachtern geworden, für die die K-238
durch ihren überlichtschnellen Flug den Rahmen der Kausalität gesprengt hatte und für die sie
zwar vom ersten Platz gestartet, aber am zweiten noch nicht gelandet war. Sie war also gar nicht
da, als wir nach ihr suchten, konnte gar nicht da sein. Anders für die schnellen Druuf-Robots:
Sie hatten nun unseren Platz eingenommen, sahen die K-238 dort stehen und stahlen sie.«
An dieser Stelle würde Bull wahrscheinlich einwenden: »Wie war das doch mit der Lampe, die
schon brannte, als der Mann am Schalter drehte? Bedeutet nicht der Verlust der Kausalität: Die
Wirkung tritt vor der Ursache ein? Sollte das für einen Solitude-Beobachter nicht heißen,
daß die K-238 am zweiten Platz schon auftauchte, bevor sie vom ersten startete?«
Und er, auf diese Frage gefaßt, würde ihm antworten: »Vertauschung von Ursache und Wirkung ist
nur eine mögliche Ausdrucksform eines akausalen Vorgangs unter vielen anderen. Dazu ein
Beispiel: Eine Gewehrkugel, die auf den Mittelpunkt einer Zielscheibe zufliegt, die Zielscheibe
ohne Einwirkung irgendwelcher Kräfte aber nicht erreicht, sondern kurz vor der Zielscheibe
verschwindet und hinter ihr wieder auftaucht, um weiterzufliegen, handelt zweimal wider die
Kausalität: Erstens entfällt die Wirkung, nämlich das Durchschlagen der Zielscheibe, die nach der
Ursache, nämlich dem zielgerechten Abschuß, zu folgen hat. Zweitens tritt eine Wirkung auf,
nämlich das Verschwinden und Wiederauftauchen der Kugel, ohne daß eine Ursache dazu vorhanden
ist.«
Darauf würde Reginald Bull vor sich hin brummen, das sei ein närrischer Vergleich, aber
immerhin … Und er selbst würde fortfahren: »Um einen ähnlichen Vorfall handelt es sich bei
der K-238. Die Wirkung, die nach der Ursache, dem Start, zu erwarten war, nämlich die Landung,
trat nicht ein. Offenbar müssen wir in der Theorie der verschiedenen Zeitebenen aber die
Folgerung aufstellen, daß, über längere Zeiträume betrachtet, die Summe aller Ursachen der Summe
aller Wirkungen immer gleich sein muß, obwohl die Kausalität ausgeschaltet ist. Zu der ersten
Ursache, der die Wirkung fehlte, mußte also eine Wirkung kommen, die keine Ursache hatte: die
tatsächliche Landung der K-238, wie sie von Gorlat und mir beobachtet wurde, zu einem Zeitpunkt,
zu dem niemand das Schiff erwartete. Zu dieser Wirkung gibt es keine Ursache. Die K-238 war für
einen Beobachter des Solitude-Raumes eine Zeitlang einfach verschwunden. Na schön, jetzt ist sie
also wieder da – als Endeffekt eines akausalen Vorgangs oder besser zweier Vorgänge. Der
Zeitpunkt, zu dem auf eine wirkungslose Ursache eine ursachenlose Wirkung folgen muß, läßt sich
errechnen. Es stellt sich dabei heraus, daß der Betrag, um den die höchstzulässige, also die
Lichtgeschwindigkeit während der Bewegung überschritten wurde, ein Maß für die Akausalität des
Begleitvorgangs ist. Aus dem Wert der Geschwindigkeit, mit der die K-238 sich während der
Überführung vom ersten zum zweiten Landeplatz bewegte, konnte ich errechnen, wann sie für einen
Beobachter im Solitude-Raum hier
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