Silberband 048 - Ovaron
Lotron-Jahren eine technische Hochkultur bestanden haben. Vielleicht war sie untergegangen wie die meisten Kulturen. Mir wollte nur nicht in den Kopf, daß sie absolut spurlos untergegangen sein sollte.
Natürlich legten wir bei derartigen Spekulationen unsere eigenen Maßstäbe an. Ein Wissenschaftler meines Volkes hatte sogar die Hypothese aufgestellt, die derzeit auf Lotron lebenden halbintelligenten Primaten wären die degenerierten Nachkommen, ehemals hochintelligenter Lebewesen. Ich glaubte nicht daran. Keine intelligente Art kann so weit herabsinken.
Dennoch überkam mich jedesmal ein eigentümlich beunruhigendes Gefühl, wenn sich meine Gedanken mit den genetischen Zuchtexperimenten beschäftigten, die wir auf Lotron durchführten. Obwohl die einheimischen Primaten noch nicht einmal eine richtige Sprache besaßen und ihre Handlungen weitgehend von animalischen Trieben bestimmt wurden, besaßen sie doch Gehirne mit einem beachtlichen Entwicklungspotential. Möglicherweise experimentierten wir hier mit etwas, das uns eines Tages zum Verhängnis werden konnte.
Das Summen der Gegensprechanlage riß mich aus meinen Gedanken. Ich ging zum Arbeitstisch zurück und drückte die Schaltplatte nieder. Wieder meldete sich Ilivona, aber diesmal trug ihr Gesicht deutlich den Ausdruck von Unterwürfigkeit. Mir konnte das kaum gelten, also nahm ich an, daß meine Sekretärin mit einer hochgestellten Persönlichkeit konfrontiert worden war.
Ihre Worte bestätigten meine Annahme.
Lasallo, der Chefdirektor des Tranat-Systems persönlich, wollte mich über den Tele-Kommunikator sprechen.
Ich schaltete um auf das große Gerät.
An der mir gegenüberliegenden Wand erhellte sich ein rechteckiger Ausschnitt und zeigte mir die dreidimensionale farbige Wiedergabe von Lasallos luxuriösem Privatbüro – sowie den Oberkörper des Chefdirektors selbst. Lasallo saß wie ich hinter einem Arbeitstisch. Seine hellen Augen blickten gefühllos wie immer aus dem asketischen und faltigen Gesicht. Lasallo zählte nach Lotron-Zeit zweihundertdrei Jahre und war damit für die Begriffe meines Volkes ein alter Mann.
»Ich grüße Sie, Ovaron!« sagte er mit seiner leisen, ausdruckslosen Stimme, die mich aber nicht über die in dem Wissenschaftler steckende Energie hinwegtäuschte.
»Ich grüße Sie, Lasallo«, antwortete ich, ohne mir die brennende Neugier anmerken zu lassen.
Lasallo faltete die knochigen Hände auf der Tischplatte.
»Ich habe für morgen eine große Jagd angesetzt, Ovaron«, teilte mir der Chefdirektor mit. »Wir müssen wieder einmal etwas Zerstreuung in unser von Pflichten belastetes Dasein bringen. Bitte, finden Sie sich morgen bei Sonnenaufgang mit Ihrer Jagdausrüstung vor dem Palast der Tanzenden Moleküle ein.«
Ich neigte den Kopf, dann blickte ich wieder auf den Bildschirm.
»Vielen Dank für die Einladung, Lasallo. Ich werde pünktlich zur Stelle sein.«
Lasallo blickte mich noch einen Moment lang unverwandt an, dann unterbrach er die Verbindung.
Ich dachte angestrengt nach.
Lasallo hatte von einer großen Jagd gesprochen. Sie würde demnach mindestens fünf Lotron-Tage dauern, und das, obwohl wir dadurch mit unseren Arbeiten in Rückstand kommen mußten.
Nun, daran ließ sich nichts ändern. Lasallos Wort war Gesetz im Tranat-System.
Ich spürte, wie sich die Erregung in mir ausbreitete. Plötzlich freute ich mich auf die Jagd, konnte ich bei dieser Gelegenheit doch wieder mit Takvorian Zusammensein – mit meinem Reitpferd, das eigentlich kein Pferd war.
Unwillkürlich mußte ich lachen.
Niemand außer Takvorian und mir kannte unser Geheimnis, und so sollte es auch bleiben.
Ich schaltete mein Armbandgerät ein und aktivierte die Abhörsicherung. Dann rief ich nach Takvorian. Er meldete sich sofort.
»Hallo, mein Pferdchen«, sagte ich zu ihm. »Morgen müssen wir wieder einmal jagen. Was hältst du davon?«
»Ich freue mich, Ovaron«, antwortete Takvorian mit seiner dünnen Stimme.
»Ich auch. In einer Stunde Lotron-Zeit werde ich bei dir sein. Du solltest inzwischen viel Getreideschrot essen, damit du in Form bist, wenn es morgen losgeht.«
Takvorian antwortete mit einer Verwünschung. Lachend beendete ich das Gespräch.
Dann ordnete ich meine dienstlichen Angelegenheiten, warf mir meinen Umhang über und verließ das Büro. Ilivona wünschte mir viel Erfolg und Spaß bei der Jagd, aber an ihrer Miene konnte ich ablesen, daß ihr lieber gewesen wäre, ich hätte mir vorher ein Bein
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