Silberband 055 - Der Schwarm
hatte, war er auf einer Ödwelt in einen Sandsturm geraten. Er ahnte, daß die Unwetterkatastrophen, die auf der Erde bevorstanden, nicht damit zu vergleichen waren. Ganze Küstenstriche würden bei Sturmfluten überschwemmt werden. Täler würden unter Wasser gesetzt werden. Millionen Menschen würden sterben.
Wieder fühlte Garrigue Fingal diese Erregung, die zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden war.
Er hatte das Wetter dieses Planeten in Unordnung gebracht und löste damit weltweite Katastrophen aus. Soviel konnte er bereits heute erreichen. Was würde geschehen, wenn er seine Macht erst ausgebaut hatte?
Fingal überzeugte sich, daß die anderen noch bei ihm waren. Sie mußten gegen den Wind marschieren und kamen dadurch nur langsam voran.
Ein paar Häuser weiter lag jemand auf der Straße. Fingal sah, daß es eine alte Frau war. Ihr stumpfer Blick traf Fingal, und er spürte die Gleichgültigkeit dieser Frau gegenüber ihrem Ende. Sie nahm den Tod hin, wie es ein Tier tun würde, das sich irgendwo verkrochen hatte.
Fingal zog ein Nahrungskonzentrat aus der Tasche und hielt es der Frau hin.
Sie reagierte nicht. Er öffnete ihr gewaltsam den Mund und ließ Regenwasser hineinlaufen. Dann richtete er die Frau auf und schob ihr das Konzentrat in den Mund. Sie fiel ihm gegen die Brust und übergab sich. Er stieß sie wütend zurück.
»Verdammte Närrin!« zischte er.
Die anderen gingen an der Frau vorbei, ohne sich um sie zu kümmern. Fingal hatte diese seltsame Gleichgültigkeit bei fast allen Verdummten beobachten können. Diese Menschen besaßen keinen Gemeinschaftssinn mehr. Die Regeln des Zusammenlebens waren vergessen worden.
Außerdem waren fast alle Verdummten ausschließlich auf Nahrungssuche eingestellt.
Fingal beobachtete aufmerksam die Häuser, an denen sie vorbeikamen. Er hatte einen sicheren Instinkt dafür, ob sie bewohnt waren. Die Gefahr, daß die Gruppe in den Hinterhalt einer Bande geriet, war zwar gering, mußte aber beachtet werden.
Ein Blitz zuckte über den dunklen Himmel. Heftige Donnerschläge folgten. Fingal fragte sich, warum die Schutzschirme über der Stadt ausgeschaltet worden waren. Entweder hatten die Anlagen versagt, oder die Verantwortlichen in Imperium-Alpha benötigten die knappe Energie für andere Zwecke.
Fingals Gruppe erreichte ein Geschäftsviertel. Hier war es – im Gegensatz zu Fingals Wohnsektor, wo fast nur Privathäuser standen – zu schweren Zerstörungen gekommen. Die Hoch- und Bandstraßen waren zum Teil mit Trümmern bedeckt. Eine Ringstraße, die um den großen Komplex herumführte, war an einer Stelle eingestürzt und hatte die Seitenwand eines Gebäudes eingedrückt. Dort klaffte jetzt ein großes Loch, aus dem Stahlträger und Regale hervortraten. Ein batteriegespeistes Reklamelicht hing am Gebäude herab.
Fingal wußte, daß sie von nun an vorsichtiger sein mußten. Das Geschäftsviertel gehörte zum bevorzugten Aktionsgebiet der zahlreichen Banden, obwohl es in den Kaufhäusern längst nichts Eßbares mehr zu holen gab.
Fingal deutete über die Straße. »Wir müssen über die Hochstraße«, sagte er zu Verdere.
Der Farbige blickte sich scheu um. Seine Augen wirkten unnatürlich groß.
Fingal untersuchte einen umgestürzten Großtransporter.
»Wenn wir ihn aufrichten könnten, würde er uns sicher noch über die Hochstraße tragen.«
»Überall sind Trümmer«, erinnerte Verdere. »Wir kämen nicht durch.«
Der Psychologe winkte den anderen.
Dort, wo die Hochstraße begann, war ein Fußgängerband geplatzt. Es hatte sich zusammengerollt und hing schlaff über dem Seitengeländer. Die Mechanik darunter lag frei.
Fingal führte seinen Trupp auf die andere Seite der Straße. Der Regen machte den Plastikboden rutschig. Der Psychiater beobachtete, wie der Blitz in ein etwa zweihundert Meter entferntes Gebäude einschlug. Der Regen erstickte sofort die hochzüngelnden Flammen.
Auf der Hochstraße waren auch Fingal und seine Begleiter von Blitzen bedroht. Sie hätten einen Umweg durch Rohrbahnschächte und Tiefetagen machen müssen, wenn sie in Sicherheit bleiben wollten. Fingal war zu ungeduldig, deshalb nahm er dieses Risiko auf sich.
Der Wind beutelte Fingals nasse Hosen und zerrte an der Plastikmütze, die er zum Schutz seines Elektrodengestells weit in den Nacken geschoben hatte.
Mit weitausholenden Schritten führte der hagere Arzt seine Helfer über die Hochstraße. Er wurde angetrieben von unbändigem Haß und von dem
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