Silberband 055 - Der Schwarm
Tier.
Der Blinde rollte sich zur Seite. Er fühlte, daß seine Sinne schwanden.
Kälte und Schmerzen weckten ihn zwei Stunden später. Er wußte nicht, daß es draußen inzwischen hell geworden war. Der Wind blies in den Torbogen. Simon streckte die Hand aus und berührte den toten Hund, der sich jetzt ganz kalt anfühlte.
Simons Wunden hatten aufgehört zu bluten, aber sie schmerzten stark. Der Blinde ächzte, als er nach mehreren Anstrengungen auf die Beine kam.
Dr. Fingal! hämmerten seine Gedanken. Ich muß zu ihm.
Er schleppte sich ins Freie. Es war kälter geworden, die vom Sturm getriebenen Regentropfen stachen wie Nadeln auf Simons Haut. In einer Entfernung fiel etwas von einem Dach oder aus einem Fenster und zerplatzte mit explosionsartigem Knall auf der Straße. Simon schlug die Richtung zu Dr. Fingals Praxis ein. Sein Glaube an die Fähigkeiten des Arztes waren durch die Verdummung zu einer abstrakten Vorstellung geworden.
Vor Simon war das stillstehende Transportband aufgerissen. Er merkte es zu spät und rutschte in die Tiefe. Er schrie auf. Seine ausgestreckten Arme bekamen eine Strebe zu fassen, aber die Sehnen des linken Unterarms waren während des Kampfes mit dem Hund zerbissen worden und konnten das Gewicht des Mannes nicht halten. So hing Simon an seinem rechten Arm, unfähig, sich wieder nach oben zu ziehen. Er wußte nicht, wie tief er fallen würde. Seine Kräfte erlahmten schnell. Er öffnete die Finger seiner rechten Hand und stürzte.
Er prallte auf und fiel vornüber. Seine umhertastenden Hände berührten geschliffenen Beton. Er vermutete, daß er auf dem Dach eines Hauses gelandet war.
Vorsichtig bewegte Simon sich über das Dach. Der Zufall führte ihn zu den Lifts. Sie funktionierten nicht, sonst hätten sie ihn nach oben auf das Transportband tragen können. Doch Simon hatte Glück und entdeckte neben den Lifts die Notleiter. Es fiel ihm schwer, sie emporzuklettern, doch er schaffte es, indem er den verletzten Arm in die einzelnen Sprossen hakte.
Als er wieder auf dem Transportband lag, war er so erschöpft, daß er sich eine Stunde lang nicht bewegte. Simon wollte um Hilfe rufen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst.
Als er glaubte, wieder kräftig genug zu sein, um den Rest des Weges zu schaffen, richtete er sich auf und ging weiter. Er mußte sich jetzt häufiger gegen eine Hauswand lehnen und ausruhen.
Endlich bog er in die Straße ein, in der Fingal wohnte. Hier war schon immer ein stilles Gebiet gewesen. Das schien sich auch jetzt nicht geändert zu haben.
Simon mußte sich an den Begrenzungen der Grundstücke orientieren. Fingals Haus war das vorletzte in einer weit gestreuten Reihe.
Die unmittelbare Nähe seines Zieles gab Simon neue Kräfte. Er ging schneller. Noch einmal geriet er in Schwierigkeiten, als er genau in einen abgestürzten Gleiter lief und sich in den Trümmern verfing. In wilder Hast befreite er sich. Es war ihm gleichgültig, daß er dabei seine Kleider endgültig zerriß.
Als er vor dem Haus des Galaktopsychologen stand, blieb der ehemalige Warenhausdieb stehen. Er lauschte, aber außer dem Pfeifen des Windes und dem Prasseln des Regens war nichts zu hören.
Vielleicht, dachte der halbtote Simon benommen, stand Fingal bereits im Eingang des Hauses und erwartete ihn.
Doch die Tür zum Vorgarten war verschlossen. Sie war nicht hoch, und der halbtote Simon kletterte darüber.
Irgendwo schlug eine offene Tür. Mit ausgestreckten Händen ging Simon weiter.
Tränen liefen ihm über das Gesicht, vermischten sich mit dem Regen. Die Erleichterung, endlich sein Ziel erreicht zu haben, war zuviel für Simon. Er fiel auf dem schmalen Pfad, der zum Haus führte, hin.
»Dr. Fingal!« krächzte er.
Nichts rührte sich, bedrückende Stille herrschte.
»Dr. Fingal!« rief der Blinde flehend.
In einer Vision vermeinte er zu erkennen, wie sich die Tür zur Praxis öffnete und Garrigue Fingal langsam herauskam. Simon konnte sich vorstellen, wie Fingal sich umschaute, um nachzusehen, wer ihn gerufen hatte. Jetzt, in diesem Augenblick, mußte er den halbtoten Simon auf dem Weg zum Haus liegen sehen. Simon sah, wie Fingal sich beeilte und auf ihn zukam.
Jetzt mußte Fingal ihn berühren – aber Fingal kam nicht.
Enttäuscht und beunruhigt kroch der halbtote Simon weiter. Schließlich erreichte er die Haustür. Sie war verschlossen. Der halbtote Simon begann sich ernsthaft darüber Sorgen zu machen, ob Dr. Fingal anwesend war.
»Dr. Fingal!« rief
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