Silberband 084 - Eine Galaxis stirbt
Wachsamkeit und Vorsicht bekannt.
Nur die geringe Größe der Raumlinse und die Tatsache, dass seit dem Austritt nahezu alle Aggregate abgeschaltet waren, ließen hoffen, dass die Annäherung plangemäß verlaufen würde.
Träge rannen die Stunden dahin, während sich die Raumlinse in einer genau berechneten Parabel dem Ziel näherte.
Auf die Dauer wurde Hortox das Warten zu eintönig. Er aktivierte den Funkempfang. Tatsächlich erklangen kurz darauf Stimmen. Sie sprachen Interkosmo. Offensichtlich handelte es sich um terranisches Hilfspersonal, das in die Dienste der Laren gezwungen worden war. Die Männer und Frauen redeten aber nur über technische Details ihrer Arbeit.
Danach hatte Hortox zwar nicht gesucht, aber es war immerhin eine willkommene Abwechslung.
Inzwischen stand der Planet nahe genug, dass Ausschnittsvergrößerungen erste Oberflächendetails erkennen ließen. Auf der Tagseite schimmerten Seen aus flüssigem Blei und Zinn in einer wüsten Felslandschaft.
Endlich entdeckte Hortox, wonach er gesucht hatte. Es sah aus wie eine zerklüftete Felsplatte, dennoch bewegte es sich mit relativ hoher Geschwindigkeit durch die glutheiße Einöde. Doch erst als er noch einige hundert gleichartige Gebilde aufgespürt hatte, die alle in dieselbe Richtung marschierten, gab er sich zufrieden.
»Haben Sie Judith schon gefunden, Vainah?«
»Wie soll ich unter dieser Vielzahl von Ungeheuern so schnell ein einzelnes herausfinden?« Die Frau klang gereizt.
»Ich hoffe doch, dass die Transmitterkontrollen auf den Suchstrahl ansprechen«, bohrte Hortox weiter.
»Wenn er das richtige Exemplar trifft. Es rennt seit rund hundertzwanzig Jahren im Wettlauf mit Tag und Nacht um den Planeten. Das Biest könnte zur Zeit auf der anderen Seite sein.«
»Hoffentlich haben die Laren Waringers Spielzeug nicht entdeckt und zerstört.«
Vainah Mucco schwieg, und Vren Hortox widmete sich wieder seinen Beobachtungsaufgaben.
Als die Raumlinse ihre geringste Entfernung zum Nordpol erreichte, erschien in der Bildwiedergabe ein stark zerklüftetes Gebirgsmassiv. Der ›Sitz des Drachen‹ lag in der polaren Zwielichtzone, in der sogar für Menschen einigermaßen erträgliche Verhältnisse herrschten.
Ein riesiges bebautes Gebiet erstreckte sich von den Bergen aus nach allen Seiten. Die ehemalige Forschungsstation des Rebellen Iratio Hondro, die später von Professor Geoffry Abel Waringer und seinem Forschungsstab übernommen worden war, hatte in den vergangenen tausend Jahren eine Ausdehnung von zirka 100.000 Quadratkilometern Fläche erreicht. Hier war zur Zeit des Solaren Imperiums nicht nur geforscht, sondern auch in großem Umfang produziert worden. Demzufolge war es kein Wunder, dass die Laren sich dieses Forschungs- und Produktionszentrums bemächtigt hatten.
Hortox' Augen – beziehungsweise den Sensoren der Raumlinse – entgingen auch nicht die flirrenden Hochenergieschirme, von denen die Anlagen der Zwielichtzone geschützt wurden.
»Wie gefällt Ihnen das?«, fragte Vainah Mucco unvermittelt.
»Ganz gut«, antwortete Hortox. »Ich würde gern für einige Wochen durch die Gegend ziehen.«
»Obwohl Sie auf einem Normplaneten aufgewachsen sind?«
»Extremwelten werden mich immer reizen«, antwortete Hortox. »Allerdings ist dieser Planet für einen Oxtorner keine echte Extremwelt. Zu schwache Gravitation, zu langsamer Temperaturwechsel.«
»Ich sehe das anders.« Vainah lachte hell.
Die Linse hatte den Planeten schon zur Hälfte umrundet und damit praktisch den Rückweg angetreten, als die Frau endlich fündig wurde. »Judith existiert noch. Sie läuft inmitten einer kleinen Herde etwa tausend Kilometer südlich des Nordpols.«
»Sprechen die Transmitterkontrollen an?«
»Einwandfrei. Wir werden keine Schwierigkeiten haben, dort unten anzukommen.«
»Schade, dass unsere Raumlinse über keinen Transmitter verfügt.« Hortox seufzte.
»Sind Sie verrückt?«, fuhr Vainah auf. »Wären Sie dann etwa sofort zu Judith gegangen?«
»Wahrscheinlich.«
»Atlan würde Hackfleisch aus Ihnen machen.«
»Nicht, wenn ich Erfolg hätte.« Vren Hortox entspannte sich. Der Auftrag war ausgeführt. Sie mussten nur noch auf ihr Raumschiff zurückkehren, das in der Sonnenkorona wartete.
Während sich die Raumlinse wieder von dem Planeten entfernte, dachte Hortox darüber nach, dass die Laren keineswegs unfehlbar waren. Andernfalls hätten sie jedes noch so kleine Fahrzeug aufspüren müssen, das sich dem besetzten Planeten
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