Silberband 088 - Der Zeitlose
Captain Hainu?«, erklang es dumpf.
»Überhaupt nichts, Sir. Wir wurden von einer sechsdimensionalen Magnetsturmbö getroffen. Dabei hat sich die Schiffszelle kurzzeitig aufgeladen. Haben Sie es auch gespürt? Es hat ganz schön gekitzelt. Sir.«
»Gekitzelt?«, echote Rorvic gedehnt. »Naja, mit Ihrem ausgetrockneten Kichererbsengehirn müssen Sie ja fast gefühllos sein. Wenn Sie mitten im Explosionszentrum einer Fusionsbombe stehen, denken Sie wahrscheinlich, dass es ein besonders heißer Sommertag wäre. Mir kam es jedenfalls vor, als wäre ich unter eine atomar angetriebene Schmiedepresse geraten.«
Ich blinzelte. »Ihrer Form hat das nicht geschadet, Sir – beziehungsweise nichts genützt. Aber wenn Sie schon wach sind, könnten Sie gleich versuchen, unsere Position zu bestimmen.«
»Position bestimmen?«, wiederholte der Tibeter entrüstet. »Soll das heißen, Sie fliegen die GHOST, ohne zu wissen, wo in diesem verflixten Universum wir uns befinden, Sie marsianischer Sandbeißer?«
»Ungefähr weiß ich es«, erklärte ich. »Die GHOST fliegt innerhalb der Milchstraße im Grenzbereich des inneren Zentrumsrings. Sie brauchen also nur noch festzustellen, wo wir uns relativ zu einigen bekannten Bezugspunkten befinden. Danach können wir versuchen, den Aufenthaltsort der Gruppe 26 zu finden.«
Rorvic stöhnte. »Ich soll also wie üblich die Suppe ausbaden, die Sie verschüttet haben, Captain Hainu. Erst fliegen Sie ziellos in einem Magnetsturm herum, und dann fragen Sie mich nach dem Weg. Ich muss ganz schön blöd sein, dass ich mich überhaupt noch mit Ihnen abgebe.«
»Ja, Sir«, sagte ich höflich.
Nachdem Dalaimoc Rorvic über eine Stunde lang versucht hatte, Messungen anzustellen, sie von der Bordpositronik auswerten zu lassen und bekannte Bezugspunkte auszumachen, trat endlich ein Erfolg ein. Das lag allerdings weniger an seinen Bemühungen als vielmehr daran, dass der Magnetsturm abflaute und die Ortungstaster wieder brauchbare Ergebnisse lieferten. Die Umgebung der GHOST sah auch gleich viel freundlicher aus.
Der Tibeter betrachtete eine Druckfolie und sagte in seinem unausstehlichen Phlegma: »Wir sind rund achtzehn Lichtjahre vom Kurs abgekommen, Captain Hainu. Es ist mir zwar schleierhaft, wie Sie das geschafft haben, aber es ist leider wahr.«
»Mir ist auch etwas schleierhaft«, entgegnete ich ärgerlich. »Nämlich, wieso der Astronavigator eines Raumschiffs seelenruhig weiterschläft, obwohl das Schiff von einem Magnetsturm mitgerissen wird.«
»Ich habe nicht geschlafen, sondern meditiert«, korrigierte Dalaimoc Rorvic in schulmeisterlichem Tonfall. »Aber es wäre wohl zu viel von Ihnen verlangt, die große Bedeutung der Meditation für die Erweiterung des menschlichen Geistes zu erkennen. Jemand, dessen Gehirn nicht größer ist als ein Staubkorn, kann logischerweise gar keinen Geist besitzen.«
»Wie vereinbart sich das damit, dass Sie angeblich Ihren Geist wandern lassen, Sir?«, erkundigte ich mich gespannt.
Rorvics rötliche Augen starrten mich an wie die Augen eines Kindes, das soeben erfahren hat, dass es keinen Weihnachtsmann gibt.
»Ich werde Ihnen helfen, sich Ihrem Vorgesetzten gegenüber unverschämt aufzuführen, Sie marsianischer Dörrbohnenparasit!«, schnauzte das Scheusal. »Zur Strafe bekommen Sie drei Tage Nahrungsmittelentzug.« Er wickelte die Druckfolie um einen Apfel, den er aus den unergründlichen Taschen seiner Bordkombination gefischt hatte, und warf mir alles an den Kopf.
Ich fing das Wurfgeschoss auf, wickelte den Apfel aus und biss hinein. Der Geschmack war sehr eigentümlich. Ich hatte allerdings schon so lange keinen Apfel mehr gegessen, dass ich ihn dennoch verzehrt hätte, wäre mir nicht der lauernde Blick Rorvics aufgefallen. Er bewog mich dazu, den Apfel genau anzuschauen.
Es handelte sich um eine Nachbildung aus Weichplastik. Aber Rorvics Schadenfreude bewog mich dazu, so zu tun, als wäre die Musterung zu meiner Zufriedenheit ausgefallen. Mit zufriedenem Lächeln biss ich zum zweiten Mal herzhaft hinein, kaute genüsslich und aß so provozierend weiter, dass das Scheusal getäuscht wurde.
Wütend stand er auf, riss mir den halb abgebissenen Apfel aus der Hand und sagte: »Drei Tage Nahrungsmittelentzug hatte ich befohlen, Captain Hainu!«
In dem Wahn, mir versehentlich doch einen richtigen Apfel zugespielt zu haben, biss er nun selbst hinein. Ich sah seinem Gesicht an, dass er den Irrtum schnell bemerkte. Doch ihm blieb, wollte er sein
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