Silberband 096 - Die Gravo-Katastrophe
diesen Sekunden wieder die herrliche Illusion eines weitgehend geräuschlosen Dahinschwebens, wenngleich nur wenige Handbreit über dem Boden.
»Wie weit ist es?« Icho Tolot verharrte kurz. Das Echo seiner Stimme hallte von den Felsen zurück.
»Weißt du, Kumpel, wo die Gravo-Schleuse liegt, dieses Instrument der Verrücktheit?«
»Ich weiß es sehr genau.« Tolot ließ sich auf die Laufarme nieder und rannte weiter. Der Hetman thronte auf seiner Schulter, die für ihn die Größe einer Bank hatte. Er schwang eine Waffe in der rechten Hand, mit der anderen klammerte er sich am Schultergurt des Kampfanzugs an. Neben ihm kauerte der Varbilling.
Tolot durchquerte die Ebene, kletterte, ohne sein Tempo zu verringern, einen Berghang hoch und jagte auf der anderen Seite wieder hinunter. Vor ihm öffnete sich eine Schlucht, die Sroncholl wiedererkannte, denn er schrie voller Begeisterung. Sie bewegten sich durch ein ausgetrocknetes, geröllübersätes Flussbett, die Schlucht abwärts.
Drei Stunden lang lief Tolot, und sein Planhirn speicherte alle Richtungsänderungen. Er würde sich am Ziel aber nicht lange aufhalten, denn er musste zurück zur KYHBER.
Im ersten Morgengrauen weitete sich die Schlucht.
»Dort liegen die Wracks!«, kreischte Sroncholl. »Sieh genau hin! So machen sie es mit allen.«
Auf einer grauen Ebene, von schrundigen Hängen und nackten Felsen umgeben, lagen Raumschiffe. Es waren Hunderte. Kugeln, Spitzkegel, torpedoförmige und bizarr aussehende Konstruktionen, ebenso scheibenförmige Objekte. Sie lehnten übereinander, waren teilweise bis zur Unkenntlichkeit deformiert, Trägerelemente und Fetzen reckten sich nach allen Seiten. Ein gewaltiges Gewirr von Schrott.
»Wo ist Ihr Schiff, Sroncholl?«, wollte Tolot wissen. Er näherte sich dem Rand der unüberschaubaren Halde. Einige Schiffe mochten schon vor Jahrtausenden hier gestrandet sein, andere wirkten noch unversehrt.
»Ein kleines Kugelschiff mit vier atmosphärischen Elementen …«
Der Anblick war von ernüchternder Trostlosigkeit. Maschinen und Geräte, die im Lauf der Zeit umgefallen waren, hatten sich ineinander verkeilt. Überall wucherten Pflanzen. Rost blätterte von vielen Konstruktionen ab.
Die unendliche Stille des Tales, über dem langsam die Morgensonne erschien, wurde nur durch Tolots Stampfen unterbrochen.
»Hier ist es! Rechts, Tolot!«, rief Sroncholl von Trohr nach einiger Zeit.
Vor ihnen lag ein schreckliches Gewirr aus Schiffsteilen und verdorrten Schlingpflanzen. Ein Raumschiff, das einmal wie ein riesiges Gerüst mit eingebauten würfelförmigen Elementen ausgesehen haben musste, hatte seine Landestützen tief in den Boden gebohrt, war irgendwann dennoch umgestürzt und auf das Schiff des Mannes von Trohr heruntergekracht.
»Mein Schiff!«, schrie der Hetman auf. »Mein schönes, schnelles Schiff!«
»Das können Sie vergessen!«, sagte Tolot grollend. »Der Schrotthaufen wird niemals wieder starten.«
Die Zerstörung schien sich erst vor kurzer Zeit abgespielt zu haben. Die Stellen, an denen die schweren Träger die Hülle des kleinen kugelförmigen Schiffes aufgeschlitzt und eingebeult hatten, waren glänzend und hell, nur an den Rändern leicht verrostet. Das kleinere Schiff lag unter der gewaltigen Masse des anderen Raumers begraben. Auch der Raumfahrer von Trohr musste das erkennen. Er richtete sich auf und ballte die Hände.
»Ich sehe, Kollege, dass ich mit diesem Schiff nie mehr starten kann. Du hast versprochen, mich mitzunehmen. Dafür werde ich mit dir und für deine Leute gegen die varbischen Verbrecher kämpfen, die dies alles verschuldet haben.«
Die einzige Sprache, in der sie sich verständigen konnten, war Varbisch, das der Translator des Haluters übersetzte. Eine groteske Situation. Icho Tolot gab zurück: »Wir werden handeln, wie es abgesprochen war. Zurück zu meinem Raumschiff. Festhalten!«
Das erste Sonnenlicht enthüllte die ganze Trostlosigkeit dieses Schrottplatzes. Es mochte das eine oder andere betriebsfähige Schiff geben, aber wenn dem so war, dann stand die Konstruktion dennoch eingekeilt zwischen den übrigen Einheiten. Tolot ahnte, dass die Varben entweder weitaus mehr in ihr starres Verhaltensschema eingebunden waren, als die Solaner es bisher angenommen hatten, oder der Großteil ihrer Aktionen – zu denen auch die sinnlose Prozedur gehörte, der sie andere Wesen unterwarfen – wurde tatsächlich vom Schweren Magier gesteuert.
Der Haluter kannte nur mehr ein Ziel.
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