Silberband 113 - Der Loower und das Auge
deine geflügelten Artgenossen? Verlieren sie ihre Intelligenz?«
»Keineswegs!« Dexahn machte einen entrüsteten Eindruck. »Lediglich ihre Einstellung zum Leben ändert sich. Ihr Selbsterhaltungstrieb erlischt fast völlig, sie sind desinteressiert und gleichgültig.«
»Das haben wir schon bemerkt«, stimmte Sarder zu.
»Trotzdem sind sie weiser als wir.« Der Buruhner schien Sarders Einwand nicht gehört zu haben. »Weiser und auf eine schwer erklärbare Art glücklicher. Sie beschäftigen sich mit Dingen, von denen wir nicht einmal etwas ahnen. Dann, kurz vor ihrem Tod, steigen sie durch einen Kamin zum Licht hinauf.«
»Das heißt, sie verlassen diese Höhlenstadt?«, mischte sich Kirdel ein.
»So ist es.«
»Das möchte ich sehen«, sagte Kirdel neugierig.
»Warte die Zusammenkunft ab«, erwiderte Dexahn.
Inzwischen, so schätzte Sarder, drängten sich mehrere tausend Raupen-Buruhner in der Halle. Sie bildeten erste kreisförmige Formationen um die leuchtende Säule herum. In vorderster Front hielten sich jedoch einige der geflügelten Höhlenbewohner auf. Ihre Flughäute wirkten schlaff und farblos, für Sarder ein deutliches Zeichen des Alters. Vermutlich waren sie die Kandidaten für einen Aufstieg zur Außenwelt.
»Folgt mir!«, forderte Dexahn die drei Raumfahrer auf.
Er führte sie bis zur Säule, wobei Dexahns Artgenossen eine Gasse bildeten, um die Besucher durchzulassen. Der Buruhner rollte sich hinter der Formation der Geflügelten zusammen und forderte die Besucher auf, neben ihm Platz zu nehmen.
»Dieser geheimnisvolle Canjot war zweifellos der Diener Armadan von Harpoons«, flüsterte Sarder seinen beiden Begleitern zu. »Der Ritter der Tiefe bezeichnete ihn als seinen Orbiter. Der Sinn dieses Begriffs ist uns klar. Demnach sind alle Orbiter in der Milchstraße ebenfalls Bedienstete eines Ritters. Ich bin sicher, dass sie zu Armadan von Harpoon gehören.«
»Dann müsste er noch leben«, warf Arx ein.
An diesem Punkt seiner Gedankenkette war Sarder ebenfalls gescheitert. Er hatte noch keine Erklärung für das Orbiter-Phänomen gefunden, besaß einfach nicht genügend Informationen, um sich ein genaues Bild von den Zusammenhängen machen zu können.
Plötzlich wurde es still in der Halle. Die Kristallsäule schien heller denn je zu strahlen.
»Schaltet die Scheinwerfer ab!«, befahl Sarder. Arx und Kirdel kamen der Aufforderung sofort nach, die eigene Lampe hatte der Amateurarchäologe schon ausgeschaltet. Von der Säule ausgehend, schien sich die Aura grünen Lichtes durch die gesamte Halle auszudehnen.
Sarder hatte das eigenartige Empfinden, von etwas Nichtstofflichem berührt zu werden. Er registrierte, dass Arx, der neben ihm stand, heftig zitterte. Die Augen der Buruhner funkelten wie kleine Lichter.
Ein Windstoß fuhr durch die Höhle und ließ Sarder zusammenzucken. Die Bö konnte nur aus einem der drei Kamine gekommen sein.
Gebannt sah er zu, wie einer der alten Geflügelten nahe an die Säule herantrat. In der leuchtenden Aura wirkte sein Körper fast transparent. Sarder hatte keine Erklärung für seine Gefühle, aber der Anblick des Buruhners übermittelte ihm den Eindruck von tiefem Frieden und einer für ihn kaum verständlichen Harmonie. Zum ersten Mal sah er in einem dieser Flugwesen kein stumpfsinniges Geschöpf, vielmehr erschien es ihm, dass der Buruhner nach seinen Metamorphosen nun einen Zustand erreichte, den er mit aller Intensität angestrebt hatte.
Der alte Buruhner wurde vom Wind erfasst und hochgewirbelt. Es war ein unglaublicher, einem der menschlichen Vernunft verhafteten Beobachter kaum erklärbarer Anblick, wie der Geflügelte neben der Säule in die Höhe schwebte, ohne seine Flughäute zu benutzen. Sekunden später verschwand er in der Öffnung eines Kamins und kam nicht zurück.
Er ging den Weg des Ritters!, schoss es Sarder durch den Kopf.
Während er noch darüber nachdachte, begriff er, dass die eigentliche Zeremonie erst begonnen hatte und dass ihm wahrscheinlich die größten Überraschungen noch bevorstanden.
Nacheinander verschwanden alle alten Buruhner, die sich um die strahlende Säule herum versammelt hatten, durch einen der Kamine aus der Halle. Sarder fragte sich, welches Schicksal die Geflügelten in der Außenwelt erwartete. Entweder starben sie schon während des Auftriebs, oder sie erfroren in der schnee- und eisbedeckten Gipfelregion.
Nachdem der letzte Geflügelte verschwunden war, legte sich der Wind. Sarder hatte
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