Silberband 114 - Die Sporenschiffe
Wohnsiedlung, die nur alle paar hundert Jahre zum Leben erwachte, besaß andere Eigenarten als eine normale Stadt. Ihre augenblickliche Betriebsamkeit, ihre Lichter und ihre Wärme blieben ein vorübergehendes Gaukelspiel. Niemand fühlte sich hier wirklich heimisch; die Besucher kamen nur wegen eines einzigen Augenblicks. Auf der höchsten Stufe ihrer Lebendigkeit war diese Stadt schon wieder ein schlafender Riese.
»Wenn Sie wollen, lasse ich ein Begleitkommando kommen.« Jarst keuchte. »Auf diese Weise erreichen wir schneller unser Ziel.«
»Nein«, lehnte von Veylt ab. Er liebte es nicht, Aufsehen zu erregen, aber als angesehener Richter durfte er seine Hilfe auch nicht verweigern. Es erschien ihm absurd, dass sich ein paar Wesen über die Verteilung der Sitze im Dom Kesdschan zerstritten hatten.
Jäh blieb er stehen.
»Was ist passiert?«, fragte Jarst.
Der Richter starrte über die Ringstraße auf den großen freien Platz zwischen den Schalengebäuden hinüber. »Dort drüben«, sagte er verblüfft. »Für einen Augenblick dachte ich, ein Doppelgänger von mir ginge vorbei.«
»Bei dieser Beleuchtung kann das schon einmal vorkommen«, bemerkte der Domwart.
»Ich habe ihn aus den Augen verloren. Er trug ein Bündel unter dem Arm. Wirklich seltsam.«
»Sie müssen sich getäuscht haben.«
Von Veylt dachte über den Zwischenfall nach. Möglich, dass seine Sinne ihm einen Streich gespielt hatten, aber die Ähnlichkeit war doch ziemlich beeindruckend gewesen.
Der Richter ging nur zögernd weiter.
Tschan hatte den Kitter mit einem Ruck in den Schatten des nächsten Schalengebäudes gerissen. Das Familienoberhaupt stieß eine Verwünschung hervor.
»Er hat dich gesehen! Wie konnte das nur passieren? Wir wussten, dass er hier vorbeikommen würde. Warum hast du nicht aufgepasst?«
»Ich war auf das Kind konzentriert«, erklärte der Wandelbare. »Ich dachte, es würde zu schreien anfangen.« Er schaukelte das in Tücher gehüllte Baby auf seinem Arm.
»Er geht weiter«, stellte die Yardahanada erleichtert fest. »Mezza, folge ihm und stelle fest, ob er sich weiter entfernt.«
Der Aufklärer lüftete seine großen Schwingen und stieg an der Schalenwand empor. Erst als er den Lichtbereich der Scheinwerfer verließ, flog er von dem Gebäude weg und schlug die Richtung ein, die Richter von Veylt genommen hatte.
Tschan wandte sich an die beiden Wächter. »Falls von Veylt unverhofft umkehrt, wisst ihr, was ihr zu tun habt«, sagte er zu Soono und Eltariccer.
»Wir haben mit dem Sikr vereinbart, dass wir keine Gewalt anwenden«, protestierte die Yardahanada.
Tschan musterte sie spöttisch. »Bekommst du plötzlich Bedenken? Lussmann befindet sich auf Schusc, wir sind hier auf Khrat. Er wird es nie erfahren, wenn wir seinen Plan ein wenig ändern.«
»Ich erkenne immer wieder, was für ein armseliger Narr du doch bist«, sagte die Yardahanada verächtlich. »Sobald wir unser Ziel erreicht haben und Harden Coonor anstelle Igsorian von Veylts geweiht wird, verlasse ich dich.«
Er stieß sie so fest gegen die Brust, dass sie taumelte. »Für dich war ich immer nur Mittel zum Zweck!«, rief er.
»Wenn ihr weiterhin streitet, macht ihr andere Passanten auf uns aufmerksam«, warnte der Kitter. »Damit stellt ihr den gesamten Plan infrage.«
»Er begreift nicht, dass Lussmann auch Marifat ist. Der Sikr kann durchaus feststellen, was wir unternehmen«, sagte die knochige Frau. »Deshalb sollten wir uns genau an seine Anweisungen halten.«
»Der Streit ist sinnlos«, erklärte das Mimikrywesen, das dem Richter verblüffend ähnlich sah. »Von Veylt wird nicht umkehren, sondern eine gemeinsame Sitzung mit den Zeremonienmeistern abhalten. Das gibt uns genügend Zeit, den Tausch vorzunehmen. Wenn die Domwarte das Kind abholen, wird es Harden Coonor sein.«
»Und was tun wir mit dem Balg des Richters?«, fragte Tschan.
»Auf jeden Fall wird es nicht getötet«, beharrte die Yardahanada. »Der Sikr hat jede Gewalttätigkeit verboten. Wir werden das Kind irgendwo aussetzen.«
»Einen potenziellen Rächer!«, rief Tschan.
»Der Junge wird, wenn er wirklich überlebt, niemals erfahren, wer er wirklich ist und was mit ihm geschehen sollte«, sagte die Wunschmutter.
In der Luft erklang ein Rauschen. Gleich darauf landete der Aufklärer ein paar Schritte von der kleinen Gruppe entfernt.
»Er hat die Seitengebäude des Doms erreicht und scheint mit den Verhandlungen begonnen zu haben«, berichtete Mezza
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