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Silberfieber

Silberfieber

Titel: Silberfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wuehrmann
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Northern Line. Aber fünf Minuten waren in dieser Situation viel zu lange, die hatte er nicht. Er schätzte, dass er höchstens dreißig Sekunden hatte, bis Einstein hinter ihm auftauchen würde, aber es gab noch eine andere Möglichkeit.
    Frank startete wieder durch, sprintete den Bahnsteig entlang und erreichte die Treppe an dessen Ende exakt in dem Moment, in dem Einstein am anderen Ende seinen Fuß auf den Bahnsteig setzte. Frank hechtete die Stufen hinauf. Oben angelangt, atmete er zwei Mal tief durch, um seinen Puls auszugleichen, der beim Treppenrennen in den roten Bereich geraten war.
    Dann lief er weiter die Tottenham Court Road entlang.
    Er wechselte auf die Fahrbahn, suchte sich einen Platz zwischen den Autos auf der linken Fahrspur und lief so schnell, wie er noch konnte. Fünf lange Minuten musste er dieses Tempo beibehalten, um Einstein abzuhängen. Doch dessen Geschwindigkeit hatte, anders als Frank erwartet hatte, nicht nachgelassen. Er musste jetzt den nächsten U-Bahnhof an der Warren Street ansteuern und noch dazu hoffen, dass er direkt die nächste U-Bahn erwischen würde. An sich kein unmögliches Unterfangen. Er wusste, dass er die tausend Meter in weniger als fünf Minuten laufen konnte. Und die nächste Station war gewiss nicht weiter als einen Kilometer entfernt. Wenn die Anzeige in der Goodge Street gestimmt hatte, könnte er es leicht schaffen. Schnell aber merkte Frank, dass ein Tausend-Meter-Lauf in vollem Tempo auf einer Londoner Hauptverkehrsstraße am Samstagabend nicht ganz ohne Tücken war.
    Fußgänger, die zumeist noch im Pulk unterwegs waren, überquerten die Straße. Laute Stimmen, Rufe und Schreie begleiteten ihn. Zum Teil anfeuernd, zumeist aber im Alkohol begründet. Frank musste damit rechnen, dass ihm jemand unversehens vor die Füße torkelte. Genauso unberechenbar waren die Mobiltelefonierer, deren Bewegungsabläufe nie vorherzusehen waren. An der linken Straßenseite drängelten sich an- und abfahrende Taxis, die nicht mit einem abendlichen Jogger auf der Straße rechneten. Die berühmten roten Doppeldecker-Busse versperrten ihm die Sicht auf die nächste Straßenkreuzung. Und nicht zuletzt musste er auf die Passanten achten und abschätzen, ob diese sich an die Ampelphasen hielten oder nicht.
    Sein einziger Trost war, dass Einstein dieselben Probleme hatte.
    Als Frank über eine Kreuzung lief, sah er sich suchend um. In gut dreihundert Meter Entfernung konnte er seinen Verfolger ausmachen. Kein Grund also, nachzulassen. Franks Atem ging schwer, als er endlich die U-Bahn-Station Warren Street erreichte. Die Treppen herabstürzend, hörte er panisch die Tonbandstimme: Mind the gap, mind the gap …
    Doch der Zug war noch da. Frank schob, ohne zu zögern, die leere Papprolle mit der rechten Hand in die Türlücke und zog seinen Körper hinterher. Mit der Schulter drückte er die Gummipolsterungen der Türen auseinander, während das Tonband weiterlief: Mind the gap. Dann schlossen sich die Türen, und der Zug fuhr ab. Kein Einstein war zu sehen. Wie das letzte Treffen mit Einstein endete auch dieses damit, dass Frank in Schweiß gebadet war. Nur, diesmal hatte er gewonnen.

19
    Die Bahnstation Hampstead fügte sich nahtlos in die Reihe der eng aneinandergefügten und akribisch gepflegten Häuser Hampsteads ein. Die georgianische Architektur des Stadtteils war vollständig erhalten geblieben, und die wohlhabenden Bürger achteten darauf, dass sich keine modernen Stilelemente in den rötlichen Backstein und die fein gezeichneten weißen Fensterkreuze mogelten. Die Gebäude neu errichteter Filialen von Buch- und Supermarktketten hatten sich ausnahmslos den strengsten Auflagen des Denkmalschutzes unterworfen, andernfalls wären sie nicht geduldet worden. Selbst für die weltgrößte Fastfood-Kette gab es keine Ausnahme, sodass die geschwungenen Bögen des goldenen M hinter dem gleichmäßig gedämpften Licht der gusseisernen Straßenlaternen fast unsichtbar waren. Hampstead war ein Stadtteil, in den man zog, wenn man keine finanziellen Sorgen hatte und vor den Toren der Stadt wohnen wollte. Wenn man dann noch auf sie hinuntersehen wollte, zog man in die Nähe des weitläufigen, auf einem Hügel angelegten Parks Hampstead Heath.
    Obwohl schon vor langer Zeit die unaufhaltsam wachsende Großstadt das ehemalige Dorf Hampstead in sich aufgesogen hatte, zogen die Empfänger höherer Einkommen weiterhin hierher und ließen sich in einem der kleinen heiß begehrten Häuschen in der

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