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Alpendoener

Titel: Alpendoener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
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1.Tag
    Man konnte nicht behaupten, dass er viel
verlangte; streng genommen konnte man sogar behaupten, dass er überhaupt nichts
mehr verlangte vom Leben. Abgesehen vom Funktionieren einiger Alltagsdinge. Den
Frieden mit ihnen zu finden, wenn das schon mit den Mitmenschen nicht gelang.
Letztere sollten ihn in Ruhe lassen, anstatt ihm die Zeitung aus dem Briefkasten
zu klauen.
    Es war einer seiner ersten Morgen hier am Fuß der Berge, und
er wünschte sich aufrichtig, dass es nicht ein Morgen sein sollte, an dem alles
anfing – sein Leben, sein neues, diese frisch gefundene Ungemütlichkeit, die er
eben eingetauscht hatte. Er hatte seinen Wecker gestellt, etwas früher, als es
hätte sein müssen, um einen Blick in seine Zeitung, das Wesentlichste, das er
aus der großen Stadt hierher mitgenommen hatte, zu werfen. Und jetzt war sie
ihm geklaut worden und sein Anfang hier, sein erster Bewährungsmorgen, damit
versaut. Der Morgen, die Stadt – sie hatten sich zu bewähren wie er selbst und
hatten schon versagt, doch anstatt zu fühlen, wie Druck von ihm wich, weil er
jetzt weniger zu verlieren hatte, fluchte er auf diesen Tag und sein Leben, auf
sein neues wie auf sein altes, das sich entschlossen hatte, dermaßen zu
verkommen, dass er dieses neue hatte wählen müssen.
    Das Messer fiel ihm das dritte Mal aus der Hand, fiel auf den
Boden. Dieses dritte Mal, dachte Birne sich jetzt, anstatt zu fluchen, denn das
hätte das Messer auch nicht wieder sauber gemacht, dieses dritte Mal wäre das
Messer nicht auf den Boden gefallen, hätte ich nicht den Wecker früher gestellt
wegen meiner Zeitung, die ich jetzt nicht lese. Genau diesen Frieden meinte er
mit den Dingen, dass sie ihm nicht das dritte Mal aus der Hand fielen, weil er
den Wecker früher gestellt hatte, und genau diese Ruhe meinte er, die seine
Mitmenschen hätten respektieren sollen.
    Jetzt fluchte er. Laut, denn es konnte ihn niemand hören. Außer
vielleicht einer Person in diesem Haus, die jetzt, nur weil sie den Wecker auf
eine frühere Stunde eingestellt hatte als Birne, gerade die Zeitung las.
    Birne musste zum ersten Mal ein bisschen schmunzeln beim
Gedanken daran, dass er morgen seinen Wecker so stellen würde, dass ihm zwar
das Messer womöglich ein viertes Mal entgleiten würde, aber er dafür Zeitung
lesen konnte. Die Dinge und Feinde in diesem Haus würden so gegeneinander
ausgespielt. Birne würde einen kleinen Triumph feiern, beim Rausgehen die
Türschilder studieren und erste Verdächtigungen anstellen.
    Birne zog sich an, fand beinahe ausschließlich
nicht zusammenpassende Socken in seinem Schrank, hatte dann aber doch Glück,
nahm sich für den frühen Abend vor, Ordnung zu schaffen in seiner Umgebung,
überlegte kurz, ob er auf seinem Weg nach einem Zeitschriftenladen schauen
sollte, beschloss aber, dass er diese Zeitung nun schon bezahlt und sich nicht
auch noch strafen wollte, indem er sie noch mal kaufte und bis zum
Schlafengehen sowieso keine Gelegenheit mehr finden würde, sie zu lesen.
    Birne ging aus dem Haus und dachte bei sich, dass er
eigentlich nicht so einer sei, aber aufgefallen war es ihm jetzt schon, dass
von den Namen an den Türen keiner ein deutscher war bis auf einen im ersten
Stock links. Dann fiel ihm auf, dass er sich diesen Morgen über Messer,
geklaute Zeitungen, seine Unfähigkeit, mit Dingen zurechtzukommen und mit
Menschen Frieden zu schließen, aufgeregt hatte. Dann dachte er sich, dass sein
Umzug in die kleine Stadt Kempten ihm einen gewissen Kleingeist in die Seele
gepflanzt hatte und dass er damit ja nun wirklich hatte rechnen können. Der
Birne.

     
    Die waren
alle ganz nett zu ihm. Mit denen würde er schon auskommen. Er hatte 15 Minuten
zu gehen, dann war er an seiner neuen Arbeitsstelle, einem kleinen Verlag für
Wander- und Naturliteratur, angekommen. Das Wandern in der Natur hatte ihn
schon immer ein bisschen interessiert, er war ein Naturmensch, würde sich
selbst jedenfalls als solchen bezeichnen. Deswegen war er auf den Verlag
aufmerksam geworden, auf deren Anzeige – nicht in seiner Zeitung übrigens
oder leider. Die meisten Wanderführer veralteten schnell, waren lieblos und
oberflächlich gestaltet, entweder von fußlahmen verhinderten Literaten oder von
sportwahnsinnigen Analphabeten geschrieben. Das meiste nichts für Menschen wie
ihn, die für beides was übrig hatten, das jedenfalls behaupten konnten, wenn
jemand sie danach fragte in einer

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