Silberfieber
einparkte. Frank Schönbeck lebte seit einem Jahr in einer 50-Quadratmeter-Wohnung in einer kleinen Nebenstraße unweit des Stadtparkes. Vorher hatte er mit Michael zusammen in der Studenten-WG in St. Pauli gewohnt. Michael war noch immer dort und hatte nicht verstanden, wieso Frank sich plötzlich nicht mehr wohlgefühlt hatte.
Katja sagte wieder nichts zu der erneuten unbedachten Äußerung von Michael, mit der er andeutete, dass Frank lieber allein vor dem Computer saß, als mit ihr einen schönen Abend zu verbringen. Sie stiegen aus, und Katja drückte lange und energisch auf den Klingelknopf. Nichts rührte sich.
»Versuch es noch einmal«, sagte Michael.
»Ach, Unsinn, entweder ist er ausgegangen und hat das Licht brennen lassen, oder er will nicht gestört werden. Du kannst jetzt entscheiden, ob wir umsonst durch halb Hamburg gefahren sind, oder ob du Franks Schlüssel benutzen willst. Hast du ihn überhaupt mitgebracht, oder liegt er noch vergraben in deinem ganzen Computerkram?«
»Nein, nein, den habe ich dabei«, sagte Michael eilig und schloss die Haustür auf. Er wollte Katja nicht verärgern, hatte er doch immerhin durch Franks Vergesslichkeit die seltene Gelegenheit erhalten, mit ihr eine nächtliche Spazierfahrt durch Hamburg zu machen.
Sie stiegen in den zweiten Stock hinauf, und als Frank auf erneutes Klingeln und Klopfen nicht öffnete, schloss Michael mit dem mitgebrachten Schlüssel die Wohnungstür auf.
Ein Schwall heißer und stickiger Luft strömte ihnen entgegen.
»Was ist denn hier los?«, fragte Michael, als er Franks Stimme aus dem Wohnzimmer rufen hörte.
»Endlich, kommt rein und macht mich los, ich krieg kaum noch Luft.«
Katja war schneller als Michael im Wohnzimmer und erblickte zuerst den gekrümmt vor der Heizung kauernden und mit offenem Mund nach Luft japsenden Frank.
»Mein Gott, was ist denn hier passiert?«
Mit zwei schnellen Schritten war sie bei ihrem Freund, kniete sich hin und strich ihm die verschwitzten Haare aus dem Gesicht. Erst dann bemerkte sie die Handschellen.
»Was ist denn das? Wo sind die Schlüssel? Wir müssen dich losmachen.«
Michael öffnete ein Fenster und riss es auf. Frische, kalte Herbstluft strömte in den völlig überhitzten Raum. Dann drehte Michael den Thermostat bis zum Anschlag zu.
»Ich hab keinen Schlüssel, den hat der Typ mitgenommen«, keuchte Frank, während er gierig die kalte Luft einsog.
»Welcher Typ? Was ist passiert?«, fragte Michael.
»Gleich, macht erst mal diese blöden Dinger los.«
Frank zerrte an den Handschellen. Nun bemerkte auch Katja die abgeschürfte Haut und die wund gescheuerten Striemen an Franks Handgelenken. Aus der Wand hinter der Heizung waren einzelne Brocken vom Mauerputz auf den Teppichboden herabgerieselt.
»Nicht weitermachen, Frank, du hast ja schon die halbe Heizung aus der Wand gerissen. Ich rufe die Feuerwehr, die müssen irgendetwas mitbringen, um dich von den Handschellen loszumachen.«
»Nein, nicht. Lass das, nicht die Feuerwehr«, sagte Frank abwehrend, »Micha, geh in den Keller, da ist irgendwo eine Flex, mit der kannst du die Handschellen vielleicht durchtrennen, das kriegen wir selber hin.«
Michael rannte sofort los, während Katja aus dem Badezimmer ein Handtuch holte und Frank das schweißnasse Gesicht abtrocknete. Mit einer Papierschere zerschnitt sie sein T-Shirt und rieb ihm den Oberkörper ab, der über und über mit Schweiß bedeckt war.
Endlich kam Michael aus dem Keller zurück und balancierte mit der rechten Hand triumphierend einen riesigen Winkelschleifer auf seiner Schulter.
»Na, dann wollen wir mal die Nachbarn wecken.«
Nur wenige Kilometer von Franks Wohnung entfernt lag der Mann, der sich Einstein nannte, im fünften Stock eines an der Binnenalster gelegenen Hotels der gehobenen Kategorie auf seinem Bett und ließ seine Beine über die vordere Bettkante baumeln. Er hielt die Fernbedienung in der rechten Hand und zappte sich auf der Suche nach einer Eishockey-Übertragung durch die unzähligen Programme des Satellitenfernsehens. Das Zimmertelefon klingelte, und Einstein nahm den Hörer ab.
»Ja, bitte?«, meldete er sich.
»Ein Gespräch für Sie aus Kanada«, kündigte der Mann von der Hotelrezeption höflich an.
»Danke.« Einstein wartete, bis er sicher war, dass der Rezeptionist aufgelegt hatte.
»Mr. Van?«, fragte er.
Eine leise Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung:
»Hast du die Karte?«
»Nein«, sagte Einstein, »der Student hat
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