Silbermantel
eine Kassette ein. Zum Teil deshalb, weil es schon sehr spät war, aber nur zum Teil aus diesem Grund, stellte er den Lautsprecher entsprechend und setzte sich die Kopfhörer auf. Dann schaltete er die einzige Lichtquelle im Raum aus.
Es handelte sich um eine private Aufnahme, die er selbst vor einem Jahr gemacht hatte. Während er so bewegungslos im Dunkeln saß, nahmen auf dem Band die Klänge des vergangenen Sommers Gestalt an: ein Abschlußkonzert im Edward-Johnson-Saal der Musikhochschule, gegeben von einem Mädchen namens Rachel Kincaid. Einem Mädchen mit Haaren so dunkel wie seine eigenen, und dunklen Augen, die mit niemandem auf der ganzen Welt zu vergleichen waren.
Und Paul Schafer, der glaubte, man müsse alles ertragen können, und dies insbesondere sich selbst zutraute, hörte zu, solange er konnte, und scheiterte zum wiederholten Male. Als der zweite Satz begann, holte er zitternd Luft und schaltete mit einer heftigen Bewegung das Gerät ab.
Anscheinend gab es immer noch Dinge, die nicht zu schaffen waren. Deshalb tat man alles andere, so gut man dazu in der Lage war, und entdeckte neue Aufgaben, an denen man sich versuchen konnte, die zu bewältigen man sich zwingen konnte, und immer war man sich dabei im innersten Herzen dessen bewusst, dass die entferntesten Winkel der Erde nicht weit genug entfernt sein würden.
Und das war der Grund, warum Paul Schafer froh war, auf freudlose Weise froh, dass er am Morgen über die entferntesten Winkel der Erde hinaus reisen würde, auch wenn er sich wohl eingestehen musste, dass es da Dinge gab, die man ihnen verschwiegen hatte. Und der Mond, dessen Strahlen in diesem Moment, von der Wolkendecke freigegeben, durch das Fenster einfielen, erhellten das Zimmer gerade genug, um die heitere Ruhe in seinem Gesicht erkennen zu lassen.
*
Und an jenem Ort jenseits der entferntesten Winkel der Erde, in Fionavar, das sie wie eine Liebende, wie ein Traum erwartete, ging ein anderer Mond auf, größer als unser eigener, und beleuchtete die Ablösung der Hüter des Wachtsteins im Palast von Paras Derval.
Die erwählte Priesterin trat mit den neuen Wachen ein, nährte und dämmte die Naalflamme, die vor dem Stein brannte, und zog sich dann gähnend auf ihr schmales Lager zurück.
Und der Stein, Ginserats Stein, eingebettet in seine hohe Säule, die mit einem Reliefbild Conarys vor dem Berg geschmückt war, leuchtete wie seit tausend Jahren, immer noch in strahlendem Blau.
Kapitel 3
Gegen Morgen legte sich eine tiefe Wolkendecke über die Stadt. Kimberly Ford regte sich, tauchte beinahe bis an die Schwelle des Erwachens auf, dann fiel sie wieder in leichten Schlaf zurück, und in einen Traum, wie sie noch nie einen erlebt hatte.
Er handelte von einem Ort massiver, wahllos aufgetürmter Felsen. Ein Wind blies über weites Grasland. Der Abend dämmerte. Der Ort war ihr irgendwie bekannt, sie war so nahe daran, ihn benennen zu können, dass das Unvermögen einen bitteren Nachgeschmack in ihrem Mund zurückließ. Der Wind erzeugte ein eisiges, klagendes Geräusch, wenn er durch die Felsen pfiff. Sie war gekommen, jemanden zu finden, der gebraucht wurde, aber sie wusste, dass er nicht hier war. Sie trug einen Ring am Finger, dessen Stein im Zwielicht in dumpfem Rot leuchtete, und darin lag ihre Macht wie ihre Bürde. Die aufgetürmten Felsen forderten von ihr ein magisches Wort; der Wind drohte, es ihrem Mund zu entreißen. Sie wusste, was zu sagen sie hergekommen war, und ihr Herz brach, jenseits aller Trauer, die sie bisher gekannt hatte, im Bewusstsein des Preises, den ihr Sprechen dem Mann abverlangen würde, den zu rufen sie erschienen war. In ihrem Traum öffnete sie den Mund, um die Worte auszusprechen.
Da erwachte sie und blieb lange reglos liegen. Als sie sich erhob, war es, um ans Fenster zu treten, wo sie die Vorhänge aufzog.
Die Wolkendecke löste sich auf. Venus, die vor der Sonne im Osten aufging, strahlte in silbrig weißer Helligkeit wie ein Hoffnungsschimmer. Der Ring, den sie im Traum am Finger getragen hatte, war ebenfalls in strahlendes Licht getaucht: tiefrot und gebieterisch wie Mars.
Der Zwerg ging in die Hocke, die Hände locker vor sich verschränkt. Sie waren alle da: Kevin mit seiner Gitarre, Dave Martyniuk, der sich trotzig in seine Aufzeichnungen über Beweisführung vertiefte; Loren blieb im Schlafzimmer, außerhalb ihres Gesichtskreises. »Vorbereitungen«, hatte es der Zwerg genannt. Und nun sagte Matt Sören ohne lange
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