Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
ich auf mit der bangen Frage aus dem Unbewußten, aus uralten Schrecken und finsteren Träumen, jener Frage, die nie unbeantwortet blieb.
    »Bist du da?«
    »Ich bin da. Schlaf!«
    »Schlaf du auch.«
    »Denk nicht an mich. Schlaf!«
    Und so schlief ich geborgen und beruhigt. Aber plötzlich, bei Tagesanbruch, rollte der Boden unter unserem Bett; ich erwachte schreckerfüllt, spürte ein Vibrieren, ein Schwanken. Ein seltsames Brausen schien von allen Seiten zu kommen. Die Fensterscheiben klirrten. Das ganze Gebäude schwankte hin und her wie ein Riesenpendel. Ken starrte mit offenen Augen in die Dämmerung. Er lag ruhig da und hielt mich in den Armen. Doch sein Atem ging flach; ich fühlte seine Gespanntheit.
    »Was ist das?« stammelte ich. »Was ist das nur?«
    Seine Stimme klang gleichmütig. »Ein Erdbeben.«
    Ein paar Sekunden Stille; dann setzte der zweite Stoß ein. Die Wände ließen platzende Geräusche hören, eine Kette schneller, heftiger Erschütterungen drangen aus den Tiefen der Erde. Ich rang nach Luft. Ken legte beide Arme um meinen Nacken, drückte mich eng an sich. Sein Herz schlug an meinem Ohr, schneller.
    »Es ist bald vorbei«, sagte er.
    Langsam verlor das Beben an Kraft: Die Erde hatte sich beruhigt. In den 566
    Grundfesten des Gebäudes rumpelte und knirschte es noch ein paar Sekunden lang, dann wurde es wieder still. Alles war wie vorher, fest und scheinbar unversehrt.
    Ken streichelte mein Haar. Sein Atem ging wieder gleichmäßig.
    »Keine schlimme Sache. Höchstens Stärke vier.«
    Ich hob den Kopf zu ihm empor.
    »Hast du denn keine Angst?«
    »Mein Körper hat Angst, das ist unvermeidlich. Aber du bist ja bei mir.«
    Ich rieb mein Gesicht an das seine.
    »Ken, wenn es einmal soweit sein wird, möchte ich mit dir sterben. Nicht vor dir und nicht nach dir. Gleichzeitig. Ob das wohl möglich sein kann?«
    Er küßte mich und sagte, daran habe er auch gedacht.
    »Ich schätze, daß es sich einrichten läßt. Es wäre betrüblich, nicht wahr, wenn der eine gehen und der andere bleiben müßte.«
    »Ich könnte es nicht ertragen«, sagte ich.
    »Ich auch nicht. Jetzt, da ich weiß, was es heißt, zu lieben, verlasse ich dieses Licht nicht, um allein im Dunkeln zu trauern. Aber bevor es soweit ist, wollen wir leben und glücklich sein. Wir wollen uns lieben und Musik machen und unser Kind großziehen. Es wird weiterleben, wenn wir längst nicht mehr sind.«
    Seine Hände wanderten über meinen Körper, legten sich auf meine Hüften. Er drehte sich auf den Rücken, so daß ich auf ihm lag, liebkoste meinen Bauch und flüsterte den Namen des Kindes. Da preßte ich ihn an mich, in mich hinein, so tief, daß ich aufschrie. Und dann liebten wir uns ein letztes Mal, mit einer Heftigkeit, einer Verzückung, die jeden bewußten Gedanken in uns auslöschte.
    Als wir erwachten, schien hell die Sonne. Er warf sein Haar zurück und sah auf die Uhr.
    »Noch zwei Stunden bis zu deinem Flugzeug. Es wird Zeit, Liebes! «
    Ich wollte aufstehen, fiel aber auf das Kissen zurück. Schüttelfrost. Er streichelte meine nasse Stirn, hielt mich fest, bis die Übelkeit nachließ. Es ist nichts, sagte ich, es geht gleich vorbei. Er sagte, ich müsse jetzt viel schlafen, dürfe mich nicht überanstrengen, solle so schnell wie möglich zum Arzt gehen, damit wir uns keine Sorgen zu machen brauchten. Ich versprach es ihm. Er sagte, es sei schmerzhaft für ihn, daß ich seinetwegen leiden müsse; ich sagte, daß ich nicht leide, sondern glücklich sei. Da lächelte er und sagte, er auch. Von der Überwindung, die es ihn kostete, mich jetzt gehen zu lassen, sprach er nicht. Doch da gab es zuweilen eine Kopfwendung, eine Handbewegung, ein langer, dunkler Blick, der mir seine Besorgnis zeigte. Als es mir besser ging, duschten wir und zogen uns an. Dann warf er sich meine Tasche über die Schulter und nahm meine Hand. Wir fuhren mit dem Aufzug hinunter. Im Hotel fand irgendein Kongreß statt, der Aufzug war voller Leute, aus dem Frühstücksraum drang Stimmengewirr.
    Beim Anblick von Rührei und Schinken wurde mir wieder schlecht. Ken sagte, ich solle sitzenbleiben, und holte mir Tee. Wir konnten nichts essen, tranken nur 567
    unseren Tee, nahmen nichts anderes wahr als uns selbst.
    »Es ist entsetzlich«, sagte ich.
    Er nickte mit finsterem Ausdruck.
    »Ja.«
    Ich sagte, ich würde ihn jeden Tag von der Schweiz aus anrufen. Er erwiderte, er werde das Telefon neben sein Bett stellen. Dann schwiegen wir wieder, blickten uns in

Weitere Kostenlose Bücher