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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Bruno noch am gleichen Tag weiterfahren würde.
    Wir trafen gegen Mittag ein. Mein Vater war gerade nach Hause gekommen, und es roch nach gebratenem Fisch. Bruno sagte gleich, daß wir nicht zum Essen bleiben würden. Mein Vater holte eine Flasche Anisette aus dem Schrank, meine Mutter stellte Gläser auf den Tisch. Ich wollte nichts trinken. Wir setzten uns, und mit gewichtigem Räuspern ergriff Bruno das Wort. Während er sprach, hielt meine Mutter die Hände im Schoß gefaltet. Mein Vater saß in steifer Haltung, den Rücken kerzengerade. Im Gegenlicht wurde mir sein Profil undeutlich; nur ein Umriß noch die harte Nase, der vorspringende geschlossene Mund. Aber er hörte Bruno nicht zu, er horchte auf etwas in sich selbst, und sein Lächeln war vieldeutig. Dieser Entschluß sei etwas voreilig, antwortete er schließlich mit teilnahmsvoller Stimme, und solch ein bedeutungsschweres Ereignis verlange nach einem formelleren Rahmen. Gleichwohl, die Zeiten hätten sich geändert. Auch er müsse lernen, modern zu denken, und er wolle dem Glück seines einzigen Kindes nicht im Weg stehen. Beim Sprechen hob er die Zigarette an den Mund. Mein Blick fiel auf die kleinen Narben auf seinem rechten Handrücken. Eine Zeitlang 18
    waren sie dick und rot gewesen, jetzt verblaßten sie.
    Ich konnte kaum abwarten, den Raum zu verlassen. Die Menschen prägen die Gegenstände, die sie umgeben, mit dem Klima ihrer eigenen Seele. Dieses Zimmer gehörte meinen Eltern, nicht mir. Ich spürte die Feindschaft wie Treibholz um mich herumschwimmen und wunderte mich, daß Bruno sie nicht auch spürte.
    Behaglich fühlte er sich auf keinen Fall. Sein Hemd war verschwitzt, so daß ich sogar die schwarzen Härchen auf seiner Brust sah. Als mein Vater aufstand und lautlos an ihm vorbei aus dem Zimmer ging, steckte er sich nervös eine Zigarette an. Meine Mutter schob ihm stumm den Aschenbecher zu. Die Standuhr tickte. Ich saß wie erstarrt, ich hätte laut schreien können. Sei ruhig. Reiß dich zusammen.
    Gleich ist es vorbei.
    Mein Vater kam zurück und brachte die Unterlagen für das Aufgebot. Er tat sehr jovial, beglückwünschte Bruno, legte ihm den Arm um die Schultern und nannte ihn mit Nachdruck »mein lieber Sohn«. Zu mir sprach er einige noble, wohlklingende Worte; doch wir sahen aneinander vorbei und vermieden sorgfältig jede auch nur angedeutete Berührung. Meine Mutter brachte Kaffee und zog sich dann zurück. Bruno schlürfte den bitteren schwarzen Kaffee, sah mehrmals auf die Uhr und wandte sich zu meiner unsagbaren Erleichterung endlich an mich.
    »Liebling, wolltest du nicht deinen Koffer packen? Wir sollten bald fahren! Bei diesem Verkehr!«
    Hastig stellte ich die Tasse ab und stürzte aus dem Zimmer, als ob ich flüchtete.
    Ich ging in mein Zimmer und schloß laut die Tür hinter mir. Mein Herz pochte; ich atmete rasch, fast keuchend.
    Meine Augen schweiften durch den Raum. Das alte Eisenbett, der Nachttisch, die Kommode mit der grüngesprenkelten Marmorplatte, der verkratzte Schrank, der Schreibtisch. Ich erinnerte mich, wie ich mit diesen Möbeln verbunden gewesen war, wie sie geknarrt, geseufzt und geklopft hatten. Wie sie für mich gekämpft hatten. Heute regte sich nichts. Die Gegenstände schliefen.
    In diesem Zimmer war ich dem Teufel begegnet. In dem Alter, wo sich die Herzen kleiner Mädchen den Gefühlen öffnen, hatte sich die Welt der Liebe für mich verschlossen. Der körperliche Schmerz war vergangen. Ich spürte nur noch die wahre, die unheilbare Verletzung: die Zerstörung aller Traumbilder, den Mord an meiner Kindheit. Hier war mir beigebracht worden, daß die Liebe – oder vielmehr das, was man so nennt – in Wirklichkeit schmutzig und grausam und ganz furchtbar ist. Liebe ist ein Würgen, ein Ersticken, sie ist Speichel und Blut.
    Liebe ist ein Keuchen, ein Schreien und ein Bezwingen: die Gelenke, brutal verdreht, die zarten Sehnen, qualvoll auseinandergezogen, und dann die Wunde, ganz tief, noch tiefer, reißend, glühend und pochend. Die Liebe? Einst hatte ich sie erlebt wie einen flüchtigen, herzergreifenden Augenblick im Frühling, wenn der erste warme Windhauch die Blüten berührt. Jetzt hatte sie nur noch einen ganz bestimmten Geruch: Sie schmeckte in meinem Mund wie das Erbrechen.
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    Natürlich hatte es sich nicht ohne Widerstand zugetragen: Ich hatte gekämpft, auf meine Art. Der Kampf hatte sich auf das Bett mit dem blutbeschmierten Laken beschränkt, und irgendwie war es mir gelungen, den

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