Silberschweine
Lebenszeit einem einzigen Sterblichen überlassen sollte, der sich am Ende als verrückt oder korrupt oder sittenlos erweisen könnte und wahrscheinlich auch erweisen wird. Weil ich nicht mit ansehen kann, wie Rom langsam zu einem Irrenhaus verkommt, in dem eine Handvoll Aristokraten das Sagen haben, die selbst wieder bloß die Marionetten ihrer zynischen Ex-Sklaven sind, während die Masse der Bürger kaum das Nötigste zum Leben hat …« Unmöglich zu sagen, was sie sich für einen Reim auf das alles machte. Ihre nächste Frage war jedenfalls ganz nüchtern und praktisch.
»Verdienen Privatermittler das Nötigste zum Leben?«
»Wenn sie jede legale Möglichkeit nutzen, die sich ihnen bietet, reicht es, um nicht zu sterben. Und an guten Tagen«, fügte ich hinzu, »haben wir manchmal sogar so viel zu futtern, daß wir genügend Kraft finden, gegen die Ungerechtigkeit der Welt zu wettern.« Ich war jetzt ziemlich hinüber. Was das Trinken anging, hatte ich mit Petronius inzwischen gleichgezogen.
»Du glaubst, die Welt sei ungerecht?«
»Ich weiß es, meine Liebe!«
Sosia sah mich ernst an, als betrübe es sie, daß mich die Welt so schlecht behandelt hatte. Ich war auch nicht besonders erfreut darüber.
Ich war müde. Ich ging ins Wohnzimmer hinüber, und wenig später folgte mir das Mädchen.
»Ich muß noch mal aufs Klo.«
Mich ergriff die Beklommenheit eines Mannes, der ein kleines Hündchen mit nach Hause bringt, weil es so süß aussieht, und plötzlich merkt, daß er da im sechsten Stock leicht Probleme bekommt. Aber kein Grund zur Panik. Meine Wohnung war zwar spartanisch, aber mein Lebenswandel hygienisch.
»Nun ja«, stichelte ich, »du hast mehrere Möglichkeiten. Du kannst nach unten flitzen und versuchen, ob du Lenia dazu bringst, ihren Laden nach Feierabend noch mal aufzuschließen. Oder du läufst die Straße runter zu der großen öffentlichen Bedürfnisanstalt drüben – aber vergiß nicht, Kleingeld mitzunehmen, sonst lassen sie dich nicht rein.«
»Ich nehme an, du und deine Freunde, ihr pinkelt vom Balkon«, fauchte sie.
Ich sah sie bestürzt an. Und das war ich auch – leicht bestürzt. »Weißt du denn nicht, daß das verboten ist?«
»Hätte nicht gedacht, daß du dich an die Vorschriften zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung hältst.« Langsam durchschaute sie auch meine Firma. Mich hatte sie schon durchschaut.
Ich krümmte einen Finger. Sie folgte mir zurück ins Schlafzimmer, wo ich ihr die Einrichtungen zeigte, deren ich mich selbst bediente.
»Danke«, sagte sie.
»Keine Ursache«, erwiderte ich.
Ich pinkelte vom Balkon – bloß um zu beweisen, daß ich ein freier Mensch war.
Als sie diesmal zurückkehrte, grübelte ich vor mich hin. Irgendwie machten mir die Hintergründe dieser Entführung mehr zu schaffen als gewöhnlich. Mir war einfach nicht klar, ob ich den entscheidenden Punkt übersehen hatte oder ob ich tatsächlich alles wußte, was es zu wissen gab. Ich fragte mich, ob der Senator, dem sie gehörte, politisch aktiv war. Dann hatte man Sosia vielleicht entführt, um ihn bei irgendeiner Abstimmung zu beeinflussen. O Götter, bestimmt nicht! Sie war einfach viel zu schön! Es mußte mehr dahinterstecken.
»Bringst du mich jetzt nach Hause?«
»Zu spät. Zu gefährlich. Außerdem habe ich zuviel getrunken.« Ich machte kehrt, wankte durch das Schlafzimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Sie stand im Türrahmen wie eine hängengebliebene Fischgräte.
»Und wo soll ich schlafen?«
Ich war fast so betrunken wie Petronius. Ich lag flach auf dem Rücken und tätschelte meine Notizbücher. Ich brachte nur noch schwammige Gesten und albernes Getue zustande.
»An meinem Herzen, kleine Göttin!« rief ich und öffnete meine Arme, vorsichtig, einen nach dem anderen.
Sie schrak zusammen.
»Also gut!« gab sie zurück. Tapferes Mädchen.
Ich schenkte ihr ein mattes Grinsen und drehte mich in meine frühere Position zurück. Ich war selbst ziemlich erschrocken.
Aber ich hatte recht. Es war einfach zu gefährlich, mit einem so kostbaren Kind in der Gegend herumzulaufen. Nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Nicht in Rom. Nicht in diesen finsteren Straßen, in denen es von Räubern und Sittenstrolchen wimmelte. Bei mir war sie besser aufgehoben.
War sie denn gut aufgehoben? hat mich später mal jemand gefragt. Ich wich einer Antwort aus. Bis heute weiß ich nicht genau, ob Sosia Camillina bei mir damals gut aufgehoben war oder nicht.
Zu ihr sagte ich
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