Silberstern Sternentaenzers Sohn 04 - Familiengeheimnisse
erhob sich ebenfalls. Er zog Annit hoch, die immer noch völlig überwältigt auf dem Sofa hockte und nur vor sich hinstarrte.
Elena führte Annit und Mannito in einen Raum im obe ren Stockwerk. Die Einrichtung war spartanisch: eine Matratze mit einer Decke darüber, eine alte Lampe, eine Holztruhe und ein paar Sitzkissen. An einer Wand hing ein uraltes Waschbecken aus Metall.
So was würde bei uns kein Mensch mehr benutzen, schoss es Annit durch den Kopf. Sie war immer noch geschockt, wie einfach und armselig ihre Eltern hier lebten. Sie war heil froh, als ihre Mutter endlich die Tür hinter sich zuzog und sie allein ließ.
Annit ließ sich auf die Matratze fallen. „Sag, dass das alles nicht wahr ist!“, stöhnte sie und schüttelte ihre langen Haare vor ihr Gesicht, als könne sie sich dahinter ver stecken. „Das muss doch ein Albtraum sein.“
Mannito setzte sich neben sie und legte seine Hand auf ihren Arm. „Du hast dir das alles etwas anders vorstellt, nicht wahr?“
„Etwas?“ Annit sah ihren treuen Begleiter mit großen Augen an. „Komplett anders. Völlig anders. Auf jeden Fall ganz sicher nicht so!“ Sie schüttelte ihre Haare wieder vor ihre Augen, weil sie nicht wollte, dass Mannito ihre Tränen bemerkte. „Es ist nicht das Haus, weißt du“, sagte sie mit leiser Stimme. „Gut, das ist auch gewöhnungsbedürftig. Sondern es ist die Art, wie sie drauf sind.“ Plötzlich konnte sich Annit nicht mehr beherrschen, und dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. „Das sind doch meine Eltern. Aber die behandeln mich, als wäre ich eine Fremde. Als wäre ich ihnen völlig egal!“
Mannito schwieg und hörte ihr nur zu.
„Dieser Achmed!“ Annit schnaubte empört. „Der hat nicht mal einen ganzen Satz mit mir gesprochen. Ey, was soll denn das?“ Sie wischte die Tränen weg. „Ich wünschte, ich wäre zu Hause. Bei meinen richtigen Eltern. Die haben mich wenigstens lieb.“ Wieder flossen die Tränen in Strömen über ihre Wangen.
„Vielleicht musst du ihnen einfach etwas Zeit geben“, meinte Mannito einfühlsam. „Du suchst sie schon so lange und hast dich auf das Treffen eingestellt. Für sie hingegen ist die Situation total neu. Sie wussten ja nicht, dass du kommst. Das war sicher ein Schock für sie, als du nun aufgetaucht bist.“
„Pah!“, machte Annit empört. „Die wissen auch schon das ganze Leben, dass es mich gibt. Warum sind die nicht mal gekommen und haben nach mir gesucht?“
Mannito seufzte. „Wie denn? Schau dich doch mal um. Sie haben kein Geld. Keine Möglichkeiten.“ Er reichte Annit ein Taschentuch. „Deine Mutter hat übrigens die gleichen Augen wie du“, lächelte er.
„Aber sie sind so traurig“, schluchzte Annit.
„Das waren sie bestimmt nicht immer“, wandte Mannito ein. „Das Leben, das sie führte oder führen musste, hat sie wohl traurig gemacht.“
Mit großen, verweinten Augen blickte Annit den Freund an. „Meinst du?“
Bevor Mannito antworten konnte, öffnete sich die Tür einen Spalt und Elena steckte den Kopf herein. „Was passiert mit euren Pferden?“
Annit sprang auf. In dem ganzen Gefühlschaos hatten sie Silberstern und Ranja völlig vergessen. „Gibt’s irgendwo Wasser?“, erkundigte sich Annit, während sie an ihrer Mutter vorbei nach draußen flitzte.
Elena folgte ihr und zeigte ihr den großen Holzbottich voller Wasser hinter dem Stall. „Hier“, sagte sie. Dann ging sie zurück ins Haus.
Annit führte Siiberstern und Ranja zu dem Bottich. Durstig tranken die beiden Pferde von dem Wasser.
Nachdenklich strich Annit über Silbersterns tiefschwarzes Fell. „So hab ich mich in meinem ganzen Leben noch nie gefühlt, Silberstern“, murmelte sie dabei. „War es richtig hierher zu kommen? Hätte ich es nicht besser ruhen lassen sollen?“
Silberstern hob den Kopf und schnupperte sacht über ihr Gesicht.
Annit kam es vor wie eine Antwort. „Nein, hätte ich nicht. Ich weiß, ich hätte weitergesucht, mein ganzes Leben lang. Aber warum können sie sich nicht ein bisschen freuen, mich zu sehen? Nur ein ganz kleines bisschen!“ Seufzend drückte Annit ihr Gesicht gegen Silbersterns weiches Fell. „Ich will nach Hause. Zu Mama und Papa, auf meinen Bauernhof nach Südholzen.“
Plötzlich vermisste sie alles. Ihr Pony Wicky, auf dem sie die ersten Voltigier-Kunststücke geübt hatte, ihr Zimmer und sogar das selbst gebastelte Einrad, das sie zu
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