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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F E Higgins
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also sogar bessere Luft zum Atmen. Von seinem Aussichtspunkt aus konnte Pin die Silhouette ihrer vornehmen Häuser erkennen. Er brauchte kein Tageslicht, um zu wissen, wie sie aussahen: Doppelgiebel, blinkende Fensterscheiben, aufwendiges Holzwerk, auf Hochglanz polierte Türen, schimmernde Messingbeschläge, rote Fliesen und finster dreinblickende Wasserspeier.
    Er wusste auch, welche Art Menschen darin wohnten, nämlich solche, die ihr Geld für Ausschweifungen ausgaben und für zweifelhafte Zerstreuung, um ihre Langeweile zu vertreiben. Und dieses Geld war nicht etwa erarbeitet. Gott verbot es diesen parfümierten Männern mit ihren gerüschten Ärmelaufschlägen und seidenen Kniehosen, auch nur einen Tag lang ehrlicher Arbeit nachzugehen. Und was ihre schönen Frauen betraf, die ihre Nasen in die Luft reckten und so weite Röcke trugen, dass sie kaum durch eine Tür passten, so pflegten sie – nach allem, was man hörte – ihre täglichen Vergnügungen, gaben Teegesellschaften, zeichneten und sangen. Nein, ihr Reichtum war zum größten Teil ererbt, doch bedeutete das nicht, dass er immer auf ehrliche Weise zustande gekommen war. Geld war nicht das Einzige, was die Reichen erbten. Die Doppelzüngigkeit von Generationen lag ihnen im Blut. Mag sein, dass sie nicht die gleichen Verbrechen begingen, wie sie des Nachts jenseits des Flusses verübt wurden – die Reichen machten sich nicht gern die Hände schmutzig –, aber dennoch bestahlen sie ihre Mitmenschen und mordeten sogar, nur auf raffiniertere Weise und meist mit einem höflichen Lächeln im Gesicht.
    Muss eine feine Sache sein, da drüben zu wohnen, dachte Pin. Doch ob es besser ist, in einem schönen Haus zu sitzen und auf ein hässliches zu schauen, als in einem hässlichen zu wohnen und auf ein schönes zu schauen?
    Ja, dachte er, während er vorsichtig zu dem schlammigen schwarzen Wasser hinunterstieg, das Leben auf dieser Seite ist hart, schmutzig und laut, aber trotz aller Gemeinheiten warendie Südstädter zumindest auf gewisse Art leicht zu durchschauen. Man brauchte sie nur anzusehen und wusste sofort, was es für Menschen waren. Sie konnten nichts hinter feinen Kleidern und Worten verbergen.
    Es herrschte noch Ebbe, aber der Fluss stieg langsam wieder. So schnell er konnte, ging Pin bis zum Wasser vor. Im Schlamm fand sich häufig irgendwelcher Plunder von Seeleuten, der von den Schiffen gefallen war. Heute Abend jedoch hatte es Pin eilig und schaute sich nicht weiter um. Er kramte eine kleine bauchige Glasflasche mit zwei Henkeln aus seiner Tasche und entfernte den Korken. Er bemühte sich, das Fläschchen nur mit Daumen und Zeigefinger an einem der Henkel anzufassen, tauchte es ein wenig unter und zog es durch das Wasser, bis es sich mit der dunklen Brühe gefüllt hatte. Dann verschloss er es sorgfältig und rannte zur Treppe zurück.
    Der Foedus war weit und breit berüchtigt für seinen Gestank, doch wer bestimmten Dingen täglich ausgesetzt ist, gewöhnt sich an vieles. Und dass der Gestank einmal derart unerträglich war, dass die Leute überhaupt ein Wort darüber verloren, kam selten vor in Urbs Umida. Es wird behauptet, dass in Urbs Umida Geborene mit der Zeit eine Art Unempfindlichkeit gegen den Foedus-Geruch entwickeln. Mit dieser Theorie ließe sich auch ihre offenkundige Fähigkeit erklären, ohne schädliche Folgen verdorbene Nahrungsmittel zu essen. Wenn man nicht riechen kann, kann man auch nicht schmecken. Für Pin traf diese Theorie allerdings nicht zu. Er besaß eine sehr empfindliche Nase und erkannte auch die feinsten Veränderungen im Geruch des Flusses.
    Als Pin den Friedhof erreicht hatte, schneite es in dichten Flocken. Er ging durch das Tor, den Kopf gesenkt, und konnte nur knapp einem jungen Mädchen ausweichen, das eben herauskam. Erschrocken hob sie ihre weißen Hände. Als Pin sich an ihr vorbeidrückte, stieg ihm ein schwacher Duft in die Nase, der angenehmer war, als man es hier erwarten konnte, und er fühlte sich zu einer gemurmelten Entschuldigung gedrängt, ehe er weiterging.
    St Mildred war als Begräbnisstätte fast so alt wie die Stadt selbst. Hier lagen – wie in einer bodenlosen Grube – weit mehr Menschen, als die Grabsteine darüber erkennen ließen. Das war nicht so abwegig, wie es sich anhört, weil die Erde hier ungewöhnlich feucht und sauer war. Die Kombination dieser beiden Faktoren beschleunigte den Verwesungsprozess stark, und weil der Friedhof auf einem Hügel lag, sickerten alle

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